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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1965-02/0045
das Wiesengelände hinein. Ich wollte mich nun verteidigen und berief mich auf
die von der Reichsverfassung proklamierte Religions- und Gewissensfreiheit. Der
Oberst aber wie die ganze wilde Schar schrie und brüllte mich so heftig an und
überhäufte mich so sehr mit Schimpfworten, daß ich nicht zu Wort kommen
konnte. Gleich darauf aber ließ er Stricke herbeiholen, und wir Gefangenen
wurden nun alle an Wagen gebunden, die zur Weiterbeförderung der Freischaren
requiriert worden waren, und mußten wir in starkem Schritt denselben folgen.
Dem Bürgermeister Schanzlin von Kandern wurde jedoch zur größeren Schmach
ein Strick um den Hals geschlungen. Auf dem Wege durch Rötteln rief einer
meiner nächsten Nachbarn, als er mich erblickte, in nicht gerade wohlwollender
Absicht aus: ,Der chömmt nümme!', das heißt, der kommt nicht mehr heim.

Als wir in Kandern angekommen waren, wurde die ganze Gesellschaft zum
feierlichen Einzug aufgestellt. Voran ging die Musik, dann folgten Bewaffnete,
hierauf wir Gefangene, von denen Bürgermeister Schanzlin mit seinem Strick um
den Hals am meisten Aufmerksamkeit erregte. Der Einmarsch endigte im Wirtshaus
,2ur Stube', in dessen unterem Raum, der als Fruchthalle diente, wir nun
eingeschlossen wurden.

Die Nacht über hielten die gut gesinnten Bürger von Kandern die Wachposten
besetzt, um uns zu beschützen und etwaigen Mißhandlungen vorzubeugen. Den
andern Morgen wurden einige Gefangene freigesetzt, und ein wohlgesinnter
Freund, Fabrikant Zürcher von Kandern, der elsässisch-französischer Bürger war,
durfte uns mit seinen französischen Abzeichen besuchen, durfte aber kein Wort
mit uns reden.

An demselben Morgen kam der Oberkommissär Rinderschwender, bekannt
als früherer liberaler Abgeordneter der vierziger Jahre, von Säckingen herüber
und hielt Gericht ab. Glücklicherweise setzte er den unwirschen Polen ab. In
einem Verhör erklärte ich, daß ich mir keines Vergehens bewußt sei, außer daß
ich mich für die rechtmäßige Obrigkeit ausgesprochen und in der Kirche für den
Großherzog gebetet hätte; aber gerade das galt als ein Kapitalverbrechen und war
Grund genug, mich nicht frei zu geben. So wurde es unter mancherlei Besorgnissen
und Unruhen wieder Abend.

Am folgenden Tag, am Dienstag, 27. Juni, wurde der Freischarenführer
Schmidt mit allen freischärlerisch-militärischen Ehren beerdigt, wobei die Freischarenhaufen
die wildesten Drohungen gegen die Reaktionäre ausstießen, so daß
wir froh sein durften, im Gefängnis vor ihrer Rache geschützt gewesen zu sein.
Nun aber wurde auf einmal angeordnet, Bürgermeister Schanzlin und seine
Genossen sollten nach Freiburg abgeführt und dort vor ein Kriegsgericht gestellt
werden; ich dagegen wurde mit einem gefangenen Waldhüter nach Lörrach in das
dortige Amtsgefängnis verbracht. Ein Schuhmacher führte uns mit einem Einspänner
dahin, und mußte ich ihm dafür einen Kronentaler bezahlen.

Noch drei Tage mußte ich in Lörrach im Gefängnis sitzen und bekam zuletzt
noch den lieben Pfarrer Peter von Schallbach zum Leidensgenossen. Doch nahte
bereits der Prinz von Preußen mit seinem tapferen Heer auch dem badischen Oberland
, und die revolutionären Behörden und Vorkämpfer fingen schon an, sich zur
Flucht zu rüsten. Nochmals wurde ich am Donnerstag, 29. Juni, von dem Zivilkommissär
in ein scharfes Verhör genommen, dann aber in der Nacht freigegeben.
Nach Mitternacht traf ich in Rötteln ein wieder bei Frau und Kindern, die mich
nun nach fünftägigem Bangen und sorgenvollem Warten mit großem Jubel
empfingen und mit mir in die Worte des 124. Psalmes, Vers 7 und 8 einstimmten:
,Unsere Seele ist entronnen wie ein Vogel dem Strick des Voglers, der Strick ist
zerrissen und wir sind los. Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel
und Erde gemacht hat/"

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