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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1969-01/0024
Johann Peter Hebel und das Aderlaßmännlein

Von Wilhelm Zentner

In den alten Volkskalendern durfte das „Aderlaßmännlein" unter keinen
Umständen fehlen. Die Leser hätten es als einen Mangel empfunden, wenn sie
es nicht an bezeichnender Stelle gefunden hätten. Es handelte sich um eine nackte
Figur, der an sämtlichen Gliedern jene Körperstellen angezeichnet waren, an
denen man sich am günstigsten zur Ader lassen konnte. Denn das Aderlassen
spielte damals eine große Rolle; man fühlte, besonders in älteren Jahren, sich zur
Erhaltung der Gesundheit geradenwegs dazu verpflichtet, und Bader und Ärzte
hatten vollauf damit zu tun.

Außerdem präsentierte der Kalender ein Verzeichnis aller jener Tage und
Monate, welche angeblich zum Aderlassen speziell geeignet oder auf der anderen
Seite unvorteilhaft waren. Der Rheinländische Hausfreund konnte sich vom allgemeinen
Brauch nicht ausschließen, und folglich mußte auch Hebel als dessen
Betreuer dazu Stellung nehmen. In den Kalendern von 1808 bis 1812 hat er die
Figur des Aderlaßmännleins mit einem eigenen Text versehen, der in den meisten
Hebelausgaben, mit Ausnahme Wilhelm Altweggs, nicht anzutreffen ist. Hebel
erwies sich auch in diesem Falle als echter, dem Fortschritt und der wachsenden
medizinischen Erkenntnis keineswegs abholder Volkserzieher, der mit dem noch
vorhandenen Aberglauben und Unwissen gründlich aufzuräumen bestrebt war,
zugleich aber mit praktischen Ratschlägen nicht zurückhielt. Mag dieser Text auch
nur ein „Parergon" des alemannischen Dichters sein, er weist doch unverkennbar
Hebeische Züge auf, welche die Wiedergabe dieses Stückes, das lange Zeit nicht
als Produkt der Hebeischen Feder erkannt und gewürdigt worden ist, durchaus
gerechtfertigt erscheinen lassen. Wie in der Regel wendet sich der Hausfreund
auch hier direkt an den Leser, um auf solche Weise seine Worte um so eindringlicher
erscheinen zu lassen:

„Hier hast du, lieber Leser, ein Verzeichnis der Adern, die man in diesem
oder jenem Fall zu öffnen pflegt. Glaub mir, es ist vernünftiger, als wenn ich dir
eine Figur mit allen zwölf himmlischen Zeichen hingesetzt hätte, damit du, wenn
du leichtgläubig genug wärst, sehen könntest, in welchem Zeichen diese oder jene
Ader zu öffnen sei. Das sind Albernheiten; die himmlischen Zeichen haben so
wenig einen Einfluß auf das Aderlassen als der Mond. Je nachdem du einen Anfall
bekommst, so mußt du eine bestimmte Ader öffnen lassen, es regiere dann
ein Zeichen, was für eines wolle, und es mag dann Vollmond oder Neumond oder
sonst ein Tag sein.

Merke dir, statt auf die Ungereimtheiten zu achten, lieber folgendes: Der
Gesunde soll nicht ohne Not aderlassen, und der Kranke soll einen vernünftigen
Arzt fragen. Wenn man auch einmal Ader gelassen hat, so braucht man es deswegen
nicht fortzusetzen. Eine zu starke Aderlässe kann die Natur auf immer
schwächen, also ohne Not nicht über 10 Unzen. Wer zu Ohnmächten geneigt ist,
lasse sich nur eine kleine Öffnung machen und bleibe dabei im Bett liegen.
Schwangere sollen nur zu Ende der Schwangerschaft lassen usw.

Die Kennzeichen aus dem Blut sind sehr ungewiß. Doch kann man folgendes
merken: Schön rotes und flüssiges, nicht wässeriges Blut zeigt Gesundheit; sehr
dünnes, aufgelöstes Schwäche, Bleich-, Wassersucht, Faulfieber; sehr dickes, zähes,
schwarzes Milzsucht, Schwermut, Hypochondrie; Speckhaut auf dem Blute Entzündungskrankheiten
, zähe Säfte, Gicht, Verschleimung an; eine fette ölichte
Haut ist das schlimmste Zeichen; Blutwasser, das sehr gelb und grün ist, deutet
auf Fehler der Leber und Galle, Gelbsucht usw."

Mit dem Bilde des Aderlaßmännleins im Rheinländischen Hausfreund für 1810
war Hebel ganz und gar nicht zufrieden. Er entschuldigte sich deswegen bei den
Lesern des nächsten Kalenders mit folgenden Worten: „Sechstens und endlich sieht

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