Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fm
Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
38.1976, Heft 3/4.1976
Seite: 204
(PDF, 38 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-03-04/0022
»Alemannisch« und »Hochdeutsch«

Einige Begriffsbestimmungen 1)
von Rolf Max Kully

Jede Sprache ist ein mehr oder weniger vollständiges, jedenfalls im allgemeinen
ausreichendes System von Ausdrucksmitteln, das seinen Sprechern eine Verständigung
über nahezu sämtliche Themen mit gleichsprachigen Partnern ermöglicht.
Dieses System ist jedoch offen. Das bedeutet, daß Veränderungen der Umwelt sogleich
sprachliche Neuerungen nach sich ziehen. Am ehesten sind diese Neuerungen
im Bereich des Wortschatzes zu beobachten, sei's, daß neue Begriffe für neue Einsichten
, neue Wesenheiten oder neue Produkte geschaffen, sei's, daß alte Wörter
für veraltende Dinge abgestoßen werden. Der einzelne Sprecher merkt jedoch
diese Veränderungen kaum, da er selber täglich an ihnen teilhat und vielleicht
erst aus dem Abstand von einigen Jahrzehnten feststellen kann, daß man gewisse
Sachverhalte nicht mehr in gleicher Weise ausdrückt wie noch in seiner Jugendzeit
oder daß ihm plötzlich ein Ausdruck wieder in den Sinn kommt, der in seinem
Elternhaus geläufig war. Bisweilen hat man auch Gelegenheit, sich dieser Veränderungen
an einem Menschen bewußt zu werden, der sie nicht mitgemacht hat,
weil er vielleicht früh in ein anderssprachiges Land ausgewandert ist und nun nach
langen Jahren zurückkommt. Seine Muttersprache und die seiner damaligen
Jugendfreunde ist nicht mehr die gleiche: während die der Daheimgebliebenen
sich in einer bestimmten Richtung weiterentwickelt hat, ist die des Auswanderers
stehengeblieben oder geschrumpft. Sie wirkt auf die andern bereits etwas altertümlich
oder berührt sie manchmal fast etwas peinlich, etwa wenn sie darin die
Kraftausdrücke ihrer eigenen Sturm- und Drangjahre wieder vernehmen, die sie
selber längst abgelegt haben. Sie führen diese Unterschiede dann wohl auf den
persönlichen Reifeprozeß zurück, den sie selber durchgemacht haben, während es
sich im Grunde um einen sprachlichen, also sozialen Vorgang handelt.

Die Sprache ist also in ständigem Wandel begriffen und hat sich kontinuierlich
aus früheren Zuständen zu den heutigen entwickelt. Dabei ist es so gut wie unmöglich
, den Anfangspunkt einer Sprache, z. B. der deutschen oder der französischen
, festzulegen. Wir werden aber nicht fehlgehen mit der Behauptung, daß jede
menschliche Sprache direkt und in ungebrochener Linie auf die Ursprünge der
Menschheit zurückgehen muß. Denn seit es Menschen gibt, gibt es Sprache, und
da sich die Menschheit nicht anders als durch die natürliche Fortpflanzung von
kleinen Ursprüngen zur heutigen planetarischen Fülle vermehrt haben kann, liegt
es auf der Hand, daß immer wieder Kinder die Sprache der Eltern übernommen
und wiederum ihren eigenen Kindern weitergegeben haben 2). Es läßt sich also
keine Sprache — nicht einmal eine erfundene 3) — ermitteln, die ihre Anfänge
nicht in der älteren Steinzeit hätte.

Die Veränderungen, die eine Sprache im Laufe der Jahrtausende durchgemacht
hat, läßt sich in günstigen Fällen ein Stück weit zurückverfolgen, beim Alemannischen
beispielsweise bis in die Mitte des 8. Jahrhunderts. Erheblich weiter zurück
reicht aber die faßbare Geschichte des Französischen, des gegenwärtigen Endergebnisses
einer Entwicklung des Lateinischen. Das Latein setzt mit der schriftlichen
Überlieferung im 6. Jahrhundert vor Christus ein und zeigt eine kontinuierliche
Tradition bis zum Ausgang des Altertums. Als versteinerte Literatursprache
dient es bis ins Mittelalter und weit in die Neuzeit hinein. Zu einer gewissen
Zeit gegen das Ende des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung tauchen jedoch
auch dem Lateinischen nahestehende Texte auf, die schon starke Abweichungen
vom gewohnten Schriftbild zeigen und in denen zweifellos die von der breiten
Bevölkerung gesprochene Sprache ihr Abbild findet: es sind die ältesten deutlich
faßbaren Zeugnisse der Ausgliederung der romanischen Sprachen aus dem Vulgär-

204


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-03-04/0022