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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
38.1976, Heft 3/4.1976
Seite: 219
(PDF, 38 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-03-04/0037
Schweizerdeutsch: Barriere oder Hürde ?

von Hans Trümpy, Basel

Der Verfasser hat in der Besprechung eines Buches, das wie dieser Aufsatz ein Fragezeichen
hinter den Titel setzt vorgeschlagen, statt von „Barriere" von „Hürde" zu sprechen.
Er ist deshalb von der Redaktion dieser Zeitschrift aufgefordert worden, diesen Gedanken
auszuführen. Als ehemaliger Philologe, der seit 20 Jahren Volkskunde doziert, versucht
er, diesem Wunsche nachzukommen.

Es ist eine paradoxe Situation: Das wichtigste menschliche Verständigungsmittel,
die Sprache, stekt zwar allen normalen Individuen zur Verfügung, aber es gibt
trotzdem die Sprache gar nicht, sondern nur Sprache«. Wir sind im fremdsprachigen
Ausland hilfslos, wenn wir nicht zuvor dessen Sprache zusätzlich
erlernt haben oder über einen Dolmetscher verfügen. Die Sprachen haben sich
im Laufe der Geschichte auseinanderentwickelt, wie man es am Schicksal des
Lateins besonders bequem erkennen kann. Es war einst in der ganzen Westhälfte
des römischen Reichs Amtssprache, und doch versteht heute ein Franzose einen
Italiener oder Spanier nicht besser als einen Deutschen oder einen Chinesen.

Wie alle kulturellen Schöpfungen ist jede Sprache ständigem Wandel unterworfen
. Jeder nur einigermaßen aufmerksame Zeitgenosse kann das besonders in
den Veränderungen des Wortschatzes leicht feststellen. Daß irgendein Produkt bei
den Käufern ankommt, war vor 30 Jahren eine noch kaum bekannte Redewendung
; rund um die Uhr setzt sich erst seit kurzer Zeit durch, und es läßt sich beobachten
, daß neuerdings auch Nichtakademiker zu einem Tun motiviert sind.

Solche Wortschöpfungen gehen immer auf einen individuellen „Erfinder" zurück,
wenn er sich auch nur selten mehr ermitteln läßt. Der Philosoph Hegel soll von
Hause aus (als Ersatz für das gelehrte a priori) in die Welt gesetzt haben;
Hemmungen haben und frustiert gehen auf Freuds Psychoanalyse zurück;
Stellenwert ist aus der Soziologie entnommen, aus deren Bereich auch Sprachbarriere
stammt, das neue, „brisante" Wort also, das hier zur Debatte steht. In der
Verbreitung dieser neuen Wörter spiegelt sich die Breite des Interesses für die
Gedankenwelt der genannten Wissenschaften. Die Popularisierung kann freilich
immer auch zu einer Verwässerung der Begriffe führen, ein Vorgang, der von
Politikern mit ihren Schlagworten oft beabsichtigt wird.

Jeder hat die Freiheit, neue Wörter zu erfinden. Die deutsche Sprache bietet erst
noch die bequeme Möglichkeit, neue Wortzusammensetzungen (Composita) zu
bilden, z. B. gerade Sprach-Barriere. Zuweilen sind neue Wörter unentbehrlich:
Teile einer neuen Maschine und diese Maschine selbst müssen benannt werden,
damit sich die Techniker bequem verständigen können. Im geistigen Bereich kann
sich das Bedürfnis aufdrängen, einen Sachverhalt in einem Wort zusammenzufassen
; Mitbestimmung wäre dafür ein gutes Beispiel. Neue Wörter können aber
auch die gewollte Funktion einer Barriere übernehmen. Wohl die meisten Familien
verwenden gewisse Ausdrücke, die nur die Angehörigen verstehen sollen, und
was für Familien gilt, stellen wir auch in größeren Gruppen fest, wo bestimmte
Wörter den Charakter eigentlicher Gruppenabzeichen übernehmen. Der Germanist
Hugo Kuhn hat das in einem Vortrag so formuliert ä): „Die Sprachen-Internationale
der Studenten hat in allen Sprachen Barrieren des Mißverstehens errichtet,

1 Hermann Bausinger (Hg.), Dialekt als Sprachbarriere? Ergebnisbericht einer Tagung
zur alemannischen Dialektforschung. Tübingen 1973. Besprochen von H. T., in:
Schweizerisches Archiv für Volkskunde, 71, 1975, S. 70.

2 Hugo Kuhn, Sprache-Literatur-Kultur im Mittelalter und heute. Ein Versuch über
die Sprache der Studenten-Revolution. München 1969, S. 4.

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