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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
39.1977, Heft 1/2.1977
Seite: 156
(PDF, 42 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1977-01-02/0158
Wenden wir uns nun den verschiedenen Einzelfragen zu, die auf Hebels
Verhalten im theologischen, ethischen und politischen Bereich zielen. Es war gut,
äußerst notwendig und aufrüttelnd, daß Eberhard Meckel in seiner Schatzkästleinrede
1957 mit dem Titel „Umriß zu einem neuen Hebelbildnis" dazu aufforderte,
„Hebel richtiger zu spiegeln" und ihn gerade „im Umstreitbaren" besser sehen
zu lernen. Meckels dankenswerter Appell richtete sich gegen die Verniedlichung
von Hebels geister Gestalt, weist dann aber in eine ganz bestimmte Richtung, in
der bereinigend gearbeitet werden müßte. Meckel frägt „nach Hebels Religiosität,
nach seinem Glauben überhaupt bzw.: Wie entwickelt sich das eine, das andere,
und wie fügt sich beides zusammen oder auch nicht, und wie ist Hebels Wesen und
Werk getrennt oder durchdrungen davon?". Aus tiefer Vertrautheit mit Hebels
Werk zeigt Meckel auf, wie sich Hebels Glaube über den Kinderglauben, über
„mythische und mystizistische Neigungen" hinweg entwickelt bis in die gewaltige
Spannung hinein, in deren Feld der reife Hebel immer tiefer geriet und die sich
— welch ein Vorwurf für eine psychoanalytische Aufarbeitung! — in jenem Traum
entlädt, darin Christus den Prälaten Hebel anblickt, als wisse er, der Angeschaute
sei nicht „kauscher im Glauben"; jene Spannung, die sich in einer Art
psychotherapeutischer Selbsthilfe auch manifestierte in einem Brief Hebels an
Freund Hitzig, worin Hebel den angetauften Glauben mit dem des erwachsenen
Mannes vergleicht, — niederschlägt, aber auch nüchtern und abgeklärt in dem
Aufsatz „Glaube und Vergeltung", worin Hebel Abstand nimmt von vielem,
was Protestantismus oder Katholizismus sagen. Meckel weist eindringlich hin auf
diese von Hebel an sich selbst erlebte Glaubensgefährdung als auf ein Zentralproblem
der Psyche Hebels. Neu ist auch, soweit ich sehe, daß Meckel diese
Glaubensgefährdung und die daraus erwachsenden Schuldgefühle verantwortlich
macht für die kompensierende und unermüdlich wiederholte Vor- und Darstellung
der guten Weltordnung in Gedicht, Erzählung und Standrede. Das ist
ohne Zweifel richtig gesehen. Von hier aus — so fordert Meckel — müßte endlich
die Theologie Hebels geschrieben werden. Einem psychologisch und psychoanalytisch
geschulten Theologen von heute wäre das auch sehr wohl möglich; Vorarbeiten
durch nüchterne Systematisierung der Theologeme und Philosopheme
Hebels sind durch Erik Wolf und Margarete Lutz geleistet worden, im Formal-
und im bildungsgeschichtlichen Bereich durch Peter Katz. Es darf nicht unerwähnt
bleiben, daß Meckels dankenswerter Vorstoß durch Katz eine anerkennende
Würdigung gefunden hat.

Die Fragen nach dem Ethiker und Theologen Hebel sind neuerdings in der
1964 erschienenen Tübinger Dissertation von Margarete Lutz: „Der Erzieher J. P.
Hebel" klargelegt worden. Umsichtig wird in dieser Arbeit den sittlichen Motiven
in Hebels Dichtung nachgespürt und die vielfältigen Erscheinungen und Erscheinungsweisen
des Sittlichen abstrahierend benannt und zu den in Frage kommenden
philosophischen bzw. theologischen Systemen in Beziehung gesetzt. Es zeigt sich,
daß sich die Begriffe Sittlichkeit und Religion bei Hebel nicht trennen lassen.
Es durchzieht — so formuliert die Verfasserin — „die religiöse Motivierung . . .
das gesamte sittliche Wollen des Dichters. Für Hebel findet alles sittliche Tun des
Menschen seine Begründung im Willen Gottes und erhält in der Jenseitsgläubigkeit
seine religiöse Zielsetzung." Es bleibt kein Raum für eine „einfache Sittlichkeit
, die aus sich selbst, d. h. ohne jenen Horizont der Schöpfungsgläubigkeit,
begriffen werden könnte. Lutz unterscheidet dann zwischen den „rationalistischen"
und den „irrationalen Formen" Hebelscher Religiosität, die sich freilich gegenseitig
durchdringen. Als rationalistisch in Hebels dichterisch sich äußernder Religion
erscheint etwa der Begriff des Weltgesetzgebers, die durchgehende Kausalität der
Entwicklung, die Ablehnung des den Naturgesetzen widerstrebenden Wunders,
das Bemühen um eine Theodizee, d. h. um eine Verteidigung des Unverständlichen
in der Schöpfung. Über dem gesetzgebenden Gott steht jedoch als echter Ausdruck
einer bereits dichterisch überformten Religiosität das Bild des „webenden Gottes".
Es geht alsbald über in das des fürsorgenden „Vater-Gottes", von dem — da er

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