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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
42.1980, Heft 1/2.1980
Seite: 159
(PDF, 39 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1980-01-02/0165
Dieser in vieler Hinsicht außerordentliche Johann Hermann Germann hat mir
meine Aufgabe, als Festredner zu agieren, durch den posthumen Vorteil erleichtert
, daß er eine eigenhändige Niederschrift über sein Leben hinterlassen hat:
ein familiengeschichtlich interessantes und menschlich anrührendes, dabei zeitgeschichtlich
aufschlußreiches und immer unterhaltsames Dokument. Aus ihm kann
ich Ernstes und Heiteres schöpfen, nicht nur, um diesem tüchtigen, sparsamen,
zielstrebigen und geraden Menschen ein Denkmal der Erinnerung zu setzen,
sondern um zugleich bei Ihnen die alten Zeiten mit ihren Schwierigkeiten, Sorgen
und Nöten und ihren bescheidenen Freuden lebendig werden zu lassen. Doch
lassen wir ihn, der als einfacher Leute Kind in Zunzingen zur Welt kam, mit seinen
eigenen Worten sprechen:

„Meine Jugend war ziemlich freudlos. Das Jahr 1852, als ich 6 Jahre alt
war, war sehr schlecht. Meine Mutter kam mit einem Bündel Ähren, die ganz
ausgewachsen waren, vom Acker und weinte. Die Kartoffeln waren so klein
und naß, daß man 30—40 Stück schälen mußte, und doch noch Hunger
hatte. — Ich ging in Zunzingen in die Schule. Der Unterricht wurde vom
alten Lehrer Nestler erteilt, der am liebsten vom Alten Fritz erzählte. Von
Lehrfächern kannte er selber nicht viel, so daß wir Kinder nicht zu den
Gescheitesten gehörten. Mit 10 Jahren marschierte ich jeden Tag nach Müllheim
in die Bürgerschule, wo ich wegen der geringen Wortkenntnisse auch
keiner von den besseren Schülern war. Nach 4 Jahren wurde ich aus der
Schule entlassen. Mit 14 Jahren kam ich zu C. Sänger in Kandern in die
Lehre. Das Lehrgeld betrug 150 Gulden. Meine Mutter lieh 140 Gulden, die
ich von meinem ersten Verdienst nach der vierjährigen Lehrzeit zurückzahlte
. Ich konnte mir in dem gut gehenden Gemischtwarengeschäft viel
Warenkenntnisse aneignen, von Buchführung lernte ich aber wenig oder
nichts. Wir waren außer Herr und Frau Sänger ein Commis und 2 Lehrlinge
im Betrieb und mußten im Sommer spätestens um 6 Uhr den Laden aufmachen
, kehren, putzen, dann Arbeit bis nach 10 Uhr nachts. Anfangs
hatten wir als Beleuchtung Unschlittkerzen, und neben dem Leuchter lag
die Lichtschere, und wir Lehrbuben mußten mit der Schere das Licht putzen,
wenn es niedergebrannt war. Abends mußten wir Schuhnägel und Drahtstifte
abzählen in Päckchen von 50 und 100 Stück. Die Kost war gut und genügend
dank der Fürsorge des Herrn Sänger, denn die Frau war knauserig
uns gegenüber. — Jetzt muß ich einen Spaß erzählen: Wir hatten auch
Stahlreifen für Krinolinen zu verkaufen. Kommt da ein Fräulein und verlangt
einige Ellen Stahlreifen. Ich maß dieselben ab und wickelte sie ein.
Da stellte sich heraus, daß eine Elle zu wenig abgeschnitten war. Ich legte
sie unter den Ladentisch und schnitt ein zweites Stück ab und bediente weiter.
Nach einigen Tagen wollte meine Prinzipalin ein Paket Schirting unter dem
Ladentisch hervorziehen und schwupp sprang der Stahlreif, den ich auf die
Seite zu schaffen vergessen hatte, auseinander und derselben ins Gesicht, so
daß sie schrie wie ein Dachmarder und garnicht wußte, was los sei. Ich
wußte natürlich auch nichts davon, habe es auch bei niemand gerühmt. —
Nach 4 Jahren 1865 war endlich meine Lehrzeit aus, und ich erhielt eine
Stelle bei Schiel in Jestetten mit einem Jahresgehalt von 110 Gulden
(= 188 Mark). Die ersten 10 Gulden, die ich als Commis verdiente, schickte ich
meiner Mutter mit der Bitte, sich ein Kleid dafür zu kaufen. Sie freute sich
sehr, aber auch ich war stolz, daß ich ihr endlich eine Freude machen
konnte. — Aber das Geschäft paßte mir nicht. Wir hatten alles, was verlangt
wird, aber ein Durcheinander wie nirgendwo. Von Buchführung keine Spur.
Auch nicht von Kalkulation. War eine Ware mit 30 Kreuzer ausgezeichnet,
so war anzunehmen, daß sie im Ankauf 15 Kreuzer kostete. Dann durfte
ich markten und feilschen lassen, bis noch eine Kleinigkeit hängen blieb. Wer

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