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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
42.1980, Heft 3/4.1980
Seite: 278
(PDF, 32 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1980-03-04/0072
Eine Zukunft für unsere Dörfer

von Rolf Brüderlin

Im Jahre 1933 hat die Avantgarde der Architektenschaft in Athen die „Charta
von Athen" verabschiedet. Man wollte in Zukunft eine Trennung der Lebensbereiche
und Funktionen in den menschlichen Siedlungen durchsetzen. Es wurde in
erster Linie an die Entfernung von Kleinhandwerkern und Gewerbebetrieben aus
den Wohnbezirken gedacht, auch die Landwirte und Nebenerwerbslandwirte
wollte man in den Wohnbereichen nicht mehr dulden. In erster Linie wurde an
die Ruhe in den Wohngebieten gedacht.

In New York führte man die Trennung der Funktionen nach der „Charta von
Athen" zuerst durch, und man erlebte den Niedergang ganzer Stadtviertel.

Durch die Trennung der Wohnbereiche vom Gewerbe und die erzwungene Abwanderung
der Kleinhandwerker wurde das ganze Sozialgefüge zerstört. Der
überschaubare Lebensraum war nicht mehr vorhanden. Die Arbeitnehmer mußten
sich außerhalb ihres Wohnbezirkes Arbeit suchen, und die Kleinhandwerker als
„Aufsichtspersonen" eines Viertels waren nicht mehr anwesend. Die Quartiere
wurden zu reinen, tagsüber entvölkerten, Schlaf quartieren; die Kriminalität
konnte sich ausbreiten.

Trotz dieser negativen Erfahrungen diente die „Charta von Athen" auch dem
neuen Bundesbaugesetz als Vorbild, und dies wiederum war die Grundlage für
die Bauordnungen der Länder. Durch die im Einklang mit den neuen Bauordnungen
angewandte Baunutzungsverordnung wurden die Altbaugebiete in Stadt
und Land zum Niedergang verurteilt. Die Grenzabstände, wie sie die neuen Gesetze
und Verordnungen vorsahen, waren nicht vorhanden und die alte Uberbau-
ung war schon größer, als sie die Baunutzungsverordnung vorsah.

Parallel dazu grassierte in den Gemeinden die Wachstumseuphorie, man wollte
bei der zukünftigen Gemeindereform „so groß sein", um selbständig zu bleiben.
Man tat mit dieser Entwicklung den Dörfern keinen guten Dienst. Am Rande der
gewachsenen Ortschaften entstand ein Siedlungsbrei, meist auf landwirtschaftlich
guten Böden. Ursprünglich waren die Neubaugebiete in den Ortschaften nur für
die Einheimischen gedacht, die die elterliche Hofstelle nicht übernehmen konnten.
Die Landeinnahme durch finanzkräftige Städter vertrieb die Einheimischen, die
sich die heraufgetriebenen Baupreise nicht mehr leisten konnten. Die Dörfer wurden
überfremdet und die Neubaugebiete zu reinen Schlafgebieten degradiert, da
in den Ortschaften die Arbeitsplätze fehlten. Dazu kam Anfang der 70er Jahre
die für den dörflichen Lebensraum sich nicht positiv auswirkende Gemeindereform
. Diese Ortschaften, die sich ihren guten, angestammten Lebensraum durch
sparsame Neubaupolitik erhalten hatten, wurden durch eine zwangsweise Eingemeindung
noch bestraft.

Wenn man bedenkt, daß bis zum Jahre 1975 mehr Bausubstanz nach dem Krieg
zerstört wurde, als es die Kriegseinwirkungen des zweiten Weltkrieges fertigbrachten
, dann wird es um so notwendiger, daß das noch erhaltene, überkommene
Erbe an Bausubstanz der Nachwelt im gewachsenen, baulichen Ensemble des Dorfes
erhalten bleibt.

Es wird der Dorfentwicklung zur Aufgabe gemacht, daß in den erhaltenswerten
Gemäuern auch Menschen wohnen können und daß sich die Einordnung der heutigen
Lebensansprüche mit der historischen Bausubstanz vereinbaren läßt.

Dabei müssen wir uns davor hüten, daß durch die Dorfentwicklung unsere Dörfer
nicht einer verbürokratisierten, verschematisierten Vermassung unterzogen werden
, die keinerlei Rücksicht auf die historischen Gegebenheiten der Ortschaft nehmen
.

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