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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
43.1981, Heft 2.1981
Seite: 322
(PDF, 36 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1981-02/0144
Die Große Erbarmungslosigkeit oder:
Hexenwahn auch am Oberrhein

von Ingeborg Hecht

Anno 1882 hatte sich der Offenburger Bürgermeister Franz Volk darangemacht, die
Ortenauer Ratsprotokolle durchzuarbeiten. Es war gerade Fasnachtsmontag, als er über
der düsteren Lektüre saß. »Ich begleitete in meinen Gedanken schwer beklommen den
Wagen mit den unglückseligen Frauen auf seiner Fahrt zum schauerlichen Richtplatz
durch die Straßen und sah die begleitende Menge höhnenden Pöbels, da ertönte plötzlich
vor meinem Fenster der wild lärmende Schrei: 'Schellen, Schellen, Sechser! Alte alte Hexen
- Narro!' Bei dem Hause zog ein schellenbehangener Hansel am Arme einer Altweibermaske
vorüber und hatte mit rauhem Tone den Ruf erhoben, den sofort hundert
Glockenstimmen froher, ihnen folgender Kinder in hellem Klange wiederholten. Welch
überraschender Gegensatz! Derselbe Mengenruf 'Alte Hexe!', welcher vor kaum drei
Jahrhunderten die gebildetsten und gewissenhaftesten Richter zum verantwortungsschweren
Ausspruche geschärften Todesurteils bestimmte, ist heute die lachende Losung
närrischster Ausgelassenheit.«

Irritiert beobachtet man, daß sich in der schwäbisch-alemannischen Fasnachtslandschaft
der Hexenspuk ausbreitet; selbst in alten Zünften beginnt er eine Rolle zu spielen.
Oft endet die Fasnet mit dem Verbrennen einer Hexe aus Stroh; Scheiterhaufen lodern.
Ein »Spaß« mit Tradition, aber mit einer grauenhaften.

Der Hexenwahn ist kein erfreuliches Thema. Aber Erhart Kästner hat einmal gesagt,
die Literatur sei das Gedächtnis der Menschen. Und so sollten auch in der Landschaft am
Oberrhein nicht nur Bezeichnungen wie Hexentäler, Hexentürme, Hexensagen und
schon gar nicht Hexenmasken vage Erinnerungen vermitteln an diesen so wenig bekannten
Teil unserer Landesgeschichte.

In meinem Buch »In tausend Teufels Namen - Hexenwahn am Oberrhein« habe ich
mich bemüht, die Beispiele trauriger Opferfeste aus unserer näheren Umgebung in die
großen, wenigstens angedeuteten Zusammenhänge der Geschichte zu bringen

Einführung - Zeithintergrund

An Zauberer, Dämonen und an weibliche Wesen, die fliegen konnten, hat man schon in
mythischer Vorzeit geglaubt. Vom altgermanischen Götterglauben her sind die Moor-,
Wald- und Kräuterhexen in unsere Vorstellungswelt gekommen, und sie bestehen in
Märchen und Sagen fort. In der Zeit des mittelalterlichen Aberglaubens unserer Breiten
sind Hexen in der Walpurgisnacht, zu Johannis oder Bartholomäus auf den Kandel, den
Kastelberg bei Waldkirch oder zum Nägelesee in Freiburg geflogen, an den Tagen also,
an denen die germanischen Opferfeste gefeiert und Gerichtstage abgehalten worden
sind. Daß man sich Heiligen gewidmete Tage ausgesucht hat, ist um so einleuchtender,
als die Inquisition dem Hexensabbat ja die böse Nachäfferei des Gottesdienstes zugrundelegte
: Statt Gott agierte der Teufel, den man sich als Musterbild alles Verzerrten schuf,
eine Gestalt, um die sich alles kombinieren und phantasieren ließ - grad wie man's für die
scheußlichen Anklagen gegen Hexen brauchte.

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