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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
44.1982, Heft 1.1982
Seite: 137
(PDF, 29 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1982-01/0139
Elias Canetti
der Hebelpreisträger des Jahres 1980
und Nobelpreisträger für Literatur 1981

Zum folgenden Beitrag.

Elias Canetti, der Hebelpreisträger des Jahres 1980, hat in diesem Jahr auch den Nobelpreis für
Literatur 1981 erhalten. Er ist damit nach Albert Schweitzer der zweite Hebelpreisträger, der nach
diesem Preis auch mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden ist. Der nachfolgende Beitrag gibt die
Dankansprache Canettis am 10. Mai 1980 in Hausen wieder. Wer das Glück hatte, an jener Preisverleihung
teilnehmen zu können, hat erleichtert erlebt, wie hoch dieser bescheidene und sympathisch
vorgetragene Dank über allem offiziellen Bemühen stand und wie gut die getroffene Wahl
war.

Der nachfolgende Text ist die Wiedergabe der Tonaufnahme vom 10. Mai 1980.

Hebel und Kafka

Von Elias Canetti

Sehr geehrte Anwesende, meine Damen und Herren!

Im Alter von 13 Jahren bin ich dem »Schatzkästlein« begegnet, als ich in Zürich die Kantonsschule
besuchte. In dieser Schule habe ich erlebt, was gute Lehrer bedeuten. Doch der
beste Lehrer, den ich damals hatte, war Johann Peter Hebel. Heute vor 220 Jahren kam er
zur Welt. Es gibt nicht viele, die so lange nach ihrem Tod Lehrer bleiben.

Er hat die Gabe, die man sich von einem Lehrer wünscht: er spricht anschaulich und er
spricht zu jedem. Er ist wissbegierig und hat viel gelernt, aber man merkt es nur, wenn er
ein Stück Wissen weitergibt: das erklärt er dann so, daß man es nie vergißt. Er nimmt jeden
ernst, und bevor er zu ihm spricht, hat er ihn auch gehört, nicht zu einem engen
Zweck, sondern weil er daran Anteil nimmt, was jeder treibt. Wer im Schatzkästlein
liest, hat nie das Gefühl, daß es ein Geringstes gibt, über jeden weiß er etwas Merkwürdiges
zu berichten, jeder zählt, weil jeder sein Leben hat, das gilt nicht nur für alle Arten
von Menschen, es gilt auch für den Maulwurf, für Spinnen und Eidechsen, es gilt selbst
für Planeten und Kometen, als ob auch sie ein Leben hätten.

Seine Sprache ist so, als wäre sie um seinetwillen eben entstanden. Ihre Frische sucht in
der Literatur ihresgleichen. Er kennt keine müden Worte, sie erschlaffen so wenig wie sie
vor Hochmut bersten, und was man von Sprache überhaupt denken möchte, bei ihm ist
es Wahrheit geworden: jede Geschichte, die man von ihm liest, erfüllt und entläßt einen
mit Erwartung.

Es ist manchen aufgefallen, daß die Kalendergeschichten Hebels von Einfluss auf
Franz Kafka waren. Vermutungen darüber sind öfters geäußert worden. Doch haben
dann andere erklärt, daß keine Beweise dafür zu finden seien. Durch eine erstaunliche
Begebenheit in meinem Leben, die wie aus einer Kalendergeschichte klingt, glaube ich
etwas Verläßlicheres darüber mitteilen zu können.

Im Jahre 1936 bekam ich in Grinzing, einem Ort im Rebgelände um Wien, wo ich damals
wohnte, den Besuch des Rezitators Ludwig Hardt. In den Jahren zwischen den beiden
Kriegen galt Ludwig Hardt mit gutem Grund als der bedeutendste Rezitator deutscher
Zunge. Ich hatte ihn oft schon sprechen gehört und bewunderte ihn sehr, und daß
er mich besuchte, empfand ich als Auszeichnung und Ehre. Er war ein kleiner, zierlicher
, ungemein beweglicher Mann, der keinen Augenblick stillhielt und sich nicht setzen
mochte. Während er im Zimmer, in dem ich ihn empfing, auf und abging, hielt er die

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