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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
46.1984, Heft 1.1984
Seite: 3
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1984-01/0005
Ein alemannischer Rebell

Zum hundertsten Geburtstag von Rene Schickele am 4.8.1983
von Joachim W. Storck

»Das arme Europa, das mehr als jemals gefährdete, ihm galt seine Sorge, sein Glaube, der
Glaube eines französischen Deutschen, eines deutschen Franzosen, eines Europäers.«

Thomas Mann: Rene Schickele »Die Witwe Bosca« (1939)

I.

»Das Land der Vogesen und das Land des Schwarzwaldes waren wie die zwei Seiten
eines aufgeschlagenen Buches; ich sah deutlich vor mir, wie der Rhein sie nicht trennte,
sondern vereinte, indem er sie mit seinem festen Falz zusammenhielt. Die eine der beiden
Seiten wies nach Osten, die andre nach Westen, auf jeder stand der Anfang eines verschiedenen
und doch verwandten Liedes, und so war es Europa, das offen vor mir lag.
Von Süden kam der Strom und ging nach Norden, und er sammelte in sich die Wasser aus
dem Osten und die Wasser aus dem Westen, um sie als Einziges, Ganzes ins Meer zu tragen
; und dieses Meer umschloß die große, von den jüngsten, unersättlichen Söhnen des
Menschengeschlechts bewohnte Halbinsel, in die das zu gewaltige Asien deutlich endet


Diese Sätze finden sich in einem Prosatext Rene Schickeies aus dem Jahre 1921, Rundreise
des fröhlichen Christenmenschen betitelt, dem Ausklang eines größeren Essays,
welcher die Uberschrift trägt: Blick vom Hartmannsweilerkopf.v> Der Dichter hatte im
Sommer des gleichen Jahres eine Reise in das heimatliche Elsaß unternommen und bei
diesem Anlaß jenen Berg bestiegen, der während des ersten Weltkrieges der Schauplatz
blutiger Kämpfe zwischen Deutschen und Franzosen gewesen war. Nun, auf einem »abgesprengten
Steinblock« dieses Berges sitzend, blickt er in eine nur dem Anscheine nach
getrennte Landschaft hinab, die sich ihm aber, von seinem erhöhten Aussichtspunkt aus,
in ihrer übergreifenden Einheit zeigt. Unmerklich geht das visuelle Erfassen des Wanderers
über in eine, weitere Zusammenhänge aufschließende, Vision. Der Umkreis eines
ganzen Kontinents wird sichtbar. Und der Geist des Schauenden begibt sich, Zeit und
Raum zusammendrängend, auf eine imaginäre Reise durch die einzelnen, ihm vertrauten
Teile dieses Erdteils. Überall findet er, was er sucht: »die Gleichheit Europas in der Geschichte
seiner Völker und seiner großen Gestalten«.2 Bei einem zweiten nächtlichen
Aufstieg durch den gleichen Bergwald enthüllt sich ihm in der entzückten Empfindung
eines kosmischen Einklangs mit der lebendigen Natur, welche auch das Grauen der düsteren
Schädelstätte überwächst, der Kern seines eigenen Wesens - das Geheimnis des
Schöpferischen und das Bewußtsein eines neu gewonnenen Menschentums.

Das Beziehungsgeflecht dieses Prosatextes, ja schon des ausschnitthaften Bildes der
oberrheinischen Landschaft, das die Einsicht des Betrachtenden ordnet, läßt den
menschlichen, geistigen und dichterischen Ort Rene Schickeies innerhalb der ihn bestimmenden
Horizonte erkennen. Nach diesem Ort ist zu fragen, wenn man erfahren
will, wer dieser Dichter war, und was er auch einer Zeit, die von seinem Lebens- und
Wirkungskreis schon weit abgerückt ist, noch zu sagen vermag. Schickele gilt, im landläufigen
Urteil, als der Dichter eines ganz bestimmten landschaftlichen und geschichtlichen
Raumes, ja einer besonderen Provinz, - des Elsaß. Zweifellos war das Land an der
»Grenze« seine bewußt erfahrene »Heimat«, aus deren Landschaft, aus deren Menschen
, Problemen und Überlieferungen ein großer Teil seines Werkes sich nährte. Besitzt
aber der Begriff »Heimat« in einem Zeitalter tiefer gesellschaftlicher Wandlungen
und planetarischer Verflechtungen noch einen literarisch fruchtbaren Sinn?

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