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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
46.1984, Heft 1.1984
Seite: 5
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sen Nachbarschaft er sich gerade wieder niedergelassen hatte. Die Landschaft also ist
ihm die erste Erscheinungsform seiner Heimat. Aber sie spiegelt sogleich auch einen geistigen
Raum wider, einen Raum der imaginären Bezüge, die über alle äußeren Grenzen
hinausgreifen und ein größeres Ganzes miteinbeziehen. Dieses geistige und geographische
»Ganze« wird von Schickele schon am Ausgangspunkt seiner Reise, die wir zugleich
als seinen geistigen Lebensgang begreifen können, genannt; es heißt: Europa.

Bedenkt man diese Doppelbeziehung, welche die Stellung und die Bedeutung Rene
Schickeies kennzeichnet - also seine regionale wie seine übernationale Orientierung -,
dann muß man sich wundern, daß von ihm heute so wenig die Rede ist. Scheint er doch
die heutigen Bedürfnisse im alemannischen Dreiländereck in besonderer Weise zu verkörpern
, wie er auch zugleich als ein engagierter Vorläufer der europäischen Zielsetzungen
unserer Tage gelten kann; und dies alles als lebenslanger, entschiedener Demokrat.

Versuchen wir daher, einen Autor wieder vorzustellen, der in beispielhafter Weise jene
geschichtliche und sprachliche Komplexität verkörpert, für deren Verbindungsgefüge
man in jüngster Zeit sogar den Begriff einer »alemannischen Internationale* aufgebracht
hat. ' Dies geschah gerade in Schickeies engerer Heimat, im Elsaß. Bezeichnenderweise
waren es ökonomisch-politische, im engeren Sinne ökologische Anlässe, durch welche
zunächst nur sprachlich und landschaftlich geprägte Querverbindungen ein auch gesellschaftlich
wirksames Bewußtsein entstehen ließen, das sich im französischen Elsaß, in
Baden und in der Schweiz gleichermaßen artikulierte. Dieser Entwicklung lagen Ereignisse
aus dem Anfang der Siebzigerjahre zugrunde, als sich, ausgelöst durch die umstrittenen
Bauvorhaben von Atomkraftwerken in Wyhl am Kaiserstuhl und in Kaiseraugst
bei Basel sowie von einem Bleichemiewerk im elsässischen Marckolsheim, regionale
Bürgerinitiativen bildeten, welche sich rasch über die staatsrechtlichen Grenzen hinweg
zu verständigen vermochten. Damals meldeten sich auch Liedermacher und örtliche
Poeten zu Wort, deren engagierte Texte häufig in der jeweiligen alemannischen Mundart
verfaßt waren.81 Hier schien offensichtlich auch elsässisches »Rebellenblut« - um einen
Ausdruck Schickeies zu gebrauchen - wieder auszuschlagen.9' Beispielhaft hierfür kann
der Dichter Andre Weckmann gelten, dessen Name, ähnlich wie derjenige Rene Schik-
keles, das französische wie das alemannische Element des Elsässertums widerspiegelt.10^
Die Vorstellung hegt nahe, daß, wenngleich unter andersgearteten Umständen und in
gewandelten Erscheinungsformen, in den jüngsten »aufmüpfigen« poetischen Verlautbarungen
beiderseits des Rheins auch das Erbe jenes einstigen »Stürmers und Drängers«
wieder fruchtbar wird, der zur Zeit der Jahrhundertwende in Straßburg die literarische
Bühne betreten hatte.

III.

Nun wäre es allerdings unangemessen, wollte man Rene Schickele, unter dem Blickpunkt
seiner elsässischen Herkunft und seiner späteren Ansiedlung in Badenweiler, vornehmlich
unter »provinziellen« Gesichtspunkten sehen und ihn, wegen des thematischen
Umkreises seiner epischen Hauptwerke, als einen »Heimatdichter« klassifizieren
-, selbst, um mit Thomas Mann zu sprechen, in des Wortes »unphiliströsester Bedeutung
«. Dem widerspricht überdies der Tatbestand, daß Schickele in zwei literaturgeschichtliche
Themen- und Problembereiche hineingehört, die in mehrfacher Hinsicht als
»grenzüberschreitend« gelten müssen. Gerade sie stellen ein bloß »regionalistisches«
Verständnis unseres Autors in Frage.

Zunächst ist daran zu erinnern, daß Schickele in der mittleren Periode seiner dichterischen
Entwicklung zu den Autoren des »expressionistischen Jahrzehnts« gehörte, um
einen von Gottfried Benn geprägten Abgrenzungsbegriff aufzunehmen.1^ Die kennzeichnenden
Kriterien der literarisch-künstlerischen Strömung des Expressionismus
suchte man lange Zeit aus den ästhetisch-formalen Erscheinungsformen der dichteri-

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