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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
46.1984, Heft 1.1984
Seite: 6
(PDF, 35 MB)
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  (z. B.: IV, 145, xii)



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sehen Werke zu gewinnen; heute aber wird sie in zunehmendem Maße auch in ihrer gesellschaftlich
-politischen Bedeutung erkannt. Gerade der Fall Rene Schickele kann hierfür
manchen Aufschluß geben.

Der andere literaturgeschichtliche Problemkreis aber, in den unser Autor hineingehört
, ist der Fragenbereich der deutschsprachigen Exilliteratur im Zeitalter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft. In jenen Jahren nämlich, da die Saat eines »Wiltfe-
ber«U) aufging, und da der Verfasser dieses »völkischen« Vorkriegsromans den Gipfel
seines öffentlichen Ansehens erklomm, mußte Schickele fern von seinem Wohnsitz im
badischen Schwarzwald-Vorland, und abgeschnitten von seinem einstigen deutschen
Lesepublikum, das Schicksal vieler seiner schriftstellerischen Weggefährten teilen.
Spricht man aber von Schickeies Exil, so beginnt man bereits zu stocken. War er eigentlich
, im strengen Sinne, ein deutscher Exilautor, als er mit seiner französischen Staatsbürgerschaft
, die er seit 1918 besaß, Ende 1932 sein Heim in Badenweiler verließ, um
sich, zunächst vorläufig, dann endgültig, im Süden Frankreichs niederzulassen?

Damit aber wird eine Eigenart dieses Dichters angesprochen, die ihn unverwechselbar
unter seinen Zeitgenossen macht. Annette Kolb, die dichterische Weggefährtin Rene
Schickeies, schrieb 1940 in ihrem Nachruf auf den elsässischen Dichter: ^

»... dieses Deutschland der Weimarer Jahre hatte in ihm seinen besten Ratgeber und
Freund, Frankreich seinen anhänglichsten Sohn.«

Als »Sohn Frankreichs« wird der Elsässer ausdrücklich bezeichnet, der zugleich aber,
als ein Dichter deutscher Zunge, zum Mittler zwischen beiden Kulturen und Nationen
legitimiert wird. »Ratgeber« und »Freund« für das Deutschland der Ersten Republik
konnte Schickele dadurch werden, daß er ein demokratisches Selbstverständnis besaß,
welches ihn befähigte, seine Erfahrung als ein Mensch der »Grenze« in Impulse umzusetzen
. Konkret gesprochen: das von Frankreich Mitgebrachte für Deutschland fruchtbar
zu machen. So konnte er bereits vor dem Ersten Weltkrieg als seine damalige politische
Aufgabe bezeichnen :14)

»... vergessen wir nicht, daß die 'Marseillaise' eine allgemein menschliche Angelegenheit
ist, zu deren Vertretung in Deutschland wir Beruf und Auftrag haben.«

Hier wird deutlich, daß Schickele seine persönliche Mission, zu einer deutsch-französischen
Ergänzung beizutragen, nicht nur in einem regionalistischen Sinne verstand.
Nein, er hatte schon damals ein gesellschaftliches und allgemein-humanitäres Ziel im
Auge, das sich gleichermaßen in seinen politischen Idealvorstellungen von einem europäischen
Zusammenschluß wie von einer freiheitlich-sozialistischen Gesellschaftsordnung
konkretisierte.

IV.

Rufen wir an dieser Stelle zunächst die biographischen Tatbestände in Erinnerung. Rene
Schickele wurde am 4. August 1883 im elsässischen Oberehnheim (heute Obernai) als
Sohn eines Weingutbesitzers und zeitweiligen Kantonskommissars geboren. Die Mutter
, Französin, sprach kein Deutsch; Schickeies Muttersprache, im Wortverstande, war
also das Französische. Erst auf der Schule eignete er sich das Deutsche an. Er erfuhr dies
als ein regelrechtes Abenteuer; und er hat diese Empfindung der gleichsam erotischen
Werbung eines Liebhabers um die Sprache niemals verloren oder verleugnet. Noch in
seinem Tagebuch vom 16. Dezember 1933 kehrt diese Vorstellung wieder, wenn Schik-
kele sein Verhältnis zur deutschen Sprache kritisch bedenkt und sich dabei gesteht: »Ich
darf unter keinen Umständen in der Glätte, dem Musikalischen der Sprache weitergehn.
Sonst wird aus der Buhlerei mit der Sprache Unzucht. (Ich bin nicht mit ihr zur Welt gekommen
, habe sie mir erst als Geliebte erwählt.)«15)

Schon während der Gymnasialjahre, erst in Zabern, dann in Straßburg, trug dieser lie-
bend-abenteuernde Umgang mit der Sprache seine ersten Früchte in Gestalt von Versen,

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