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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
50.1988, Heft 2.1988
Seite: 40
(PDF, 36 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1988-02/0042
Nachdenken über Nachbarn:
Das Elsaß und die Deutschen seit 1870

Michael Tocha

Deutsche schwärmen gern vom Elsaß: die liebliche Landschaft, der spritzige Wein.
Man fühlt sich gut dort, schon im Ausland und irgendwie doch noch daheim. Verbirgt
sich nicht hinter den französischen Aufschriften immer noch der Kern einer geheimen
Deutschheit? Der Badener gar sieht im elsässischen Nachbarn vor allem den alemannischen
Stammesgenossen, mit dem er herzhaft im heimischen Dialekt warm werden
kann; von solcherlei Vertrautheit wären dann die übrigen Deutschen und viel mehr
noch die Franzosen ausgeschlossen.

Bei solchen Vereinnahmungen können Mißverständnisse nicht ausbleiben. Warum
wird die deutsch aufgegebene Bestellung nicht bearbeitet, warum beantworten die beiden
Damen, die sich eben noch im Dialekt unterhielten, die deutsch gestellte Frage auf
Französisch? Man kann auch lesen, im Elsaß sei das Regio-Bewußtsein viel weniger
ausgeprägt als in Südbaden oder der Nordschweiz. Und bekanntlich hat ja auch die
Wolke von Tschernobyl am Rhein haltgemacht: Baden war noch betroffen, das Elsaß
nicht... Mag die vielbeschworene "Einheit der Oberrheinlande'" auch durch Geographie
und Volkstum vorgegeben sein, so findet sie doch keine Entsprechung in den politischen
Verhältnissen und damit im Bewußtsein der Menschen.

Hilfreicher für das gegenseitige Verhältnis als die Reden der Sonntags-Europäer und
großalemannischen Romantiker kann eine Beschäftigung mit der elsässischen Geschichte
zwischen 1870 und 1945 sein. Dabei nämlich kommen die Erfahrungen miteinander
ins Blickfeld, die seither das Bild der Elsässer von sich selbst und von ihren Nachbarn
nachhaltig bestimmen. Ohne das historische Schicksal jener Jahrzehnte wäre das
Elsaß heute vermutlich eine Randprovinz Frankreichs wie das Roussillon, die östliche
Provence oder Französisch-Flandern: ehemals nicht-französisches Sprachgebiet und
daher von kulturgeschichtlichem Interesse, aber doch ohne weitere Auffälligkeiten
über den Rahmen der Landschaft hinaus. Erst oder doch vor allem durch seine jüngste
Geschichte ist das Elsaß in den Zwiespalt hineingestoßen worden, nicht Übergangs-,
sondern Konfliktzone feindlicher Nachbarn zu sein. Es liegt nahe, daß diese Erfahrung
zu Abgrenzungsreaktionen geführt hat. Sie wirken nach, auch wenn heute durch die
deutsch-französische Aussöhnung das Elsaß als Symbol und Kernbereich eines einigeren
Europas gelten darf.

Das Elsaß wurde zwischen 1634 und 1681 von Frankreich erobert. Das Ziel war eine
militärische Vormachtstellung gegen Habsburg am Oberrhein: mit Eingriffen in die inneren
Verhältnisse des Landes blieb man zurückhaltend. So kann Goethe 1770 dort
noch eine altdeutsche Kulturwelt entdecken. Als sich aber in den Befreiungskriegen die
deutsche Nationalbewegung auch dem Elsaß zuwandte, zerflatterten all ihre Grüße an
die Brüder jenseits von "Deutschlands Strom" an der Tatsache, daß diese durch die
neue politische und soziale Ordnung des napoleonischen Kaiserreichs innerlich für
Frankreich gewonnen waren.11 Zwar wurden im 19. Jahrhundert angesichts des stetigen
Vordringens des Französischen die ersten Sprachenkämpfe ausgetragen, doch ging es
dabei vor allem um die Erhaltung des Einflusses des Klerus und die Abwehr von freidenkerischem
Gedankengut, zu dem die "Sprache Voltaires" den Zugang eröffnen
würde. Einen nationalistischen Gehalt hatten diese Auseinandersetzungen nicht: solches
blieb den kommenden Jahrzehnten vorbehalten.

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