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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
51.1989, Heft 2.1989
Seite: 86
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benden und -erleidenden ausgerichtete und damit gewiß auch widersprüchliche Erzählung
über die bewegtesten Perioden der elsässischen Geschichte. Dabei kommt es vielleicht
weniger auf die Ereignisse selber an. deren Überlieferung ja von mancherlei Zufälligkeit
abhängt - ob einer gerade dabei war und dann darüber schrieb .Die Historiker
mögen da bisweilen anders gewichten und manches vermissen. Die Schriftsteller hingegen
greifen das Einzelne im Allgemeinen auf: ihr Thema sind Episoden. Einzelschicksale
. Individuen. Stimmungen. Diese Sicht der Ereignisse "von unten" gehört notwendig
zu jedem Bild der Geschichte. Für uns macht den Reiz solcher autobiographischen
oder auch literarischenTexte aus. daß die in ihnen bewahrte persönliche Wahrnehmung
geschichtlicher Vorgänge durch sie und an ihnen nachvollziehbar wird.

Aus gegebenen Anlaß also, von der Suggestion der runden Zahl wie der Vielfalt der
Quellen veranlaßt, sollen hier die zehn Jahre der Französischen Revolution im Elsaß in
der Collage von Texten auswärtiger Zeitzeugen noch einmal lebendig werden. Dazu
kommt uns sogleich ein günstiger Zufall entgegen: Der englische Agrarschriftsteller Arthur
Young, ein kluger und genauer Beobachter, der seit 1787 durch Frankreich reiste,
traf just am 19. Juli 1789. demTag des Beginns der revolutionären Unruhen in der Provinz
, im Elsaß ein. Auf dem Weg von Pfalzburg nach Zabern gewinnt er den Eindruck,
daß er sich nun eigentlich nicht mehr in Frankreich befinde.

In Elsas-Zabern befand ich mich. allemAnschein nach, wirklich in Deutschland. Seit
zwei Tagen hatte ich schon den allmählichen Anfang einer Veränderung bemerkt; aber
hier ist nicht Einer unter Hundert, der Französisch spricht. Die Zimmer werden durch
Oefen geheizt: die Feuerherde sind drei bis vier Fuß hoch: kurz, viele kleine Umstände
zeigen, daß man sich unter einem andren Volke befindet. Wenn man eine Karte von
Frankreich betrachtet und die Geschichte Ludwigs XIV. liest, erscheint die Eroberung
des Elsas nicht in dem Lichte, als wenn man das Land selbst bereist. Daß ich über eine
große Reihe Berge mußte, und dann in eine flache Ebene kam. worin ein Volk wohnt,
welches sich in Sitten. Sprache und Kleidung gänzlich von den Franzosen unterscheidet
: das machte einen stärkeren Eindruck auf mich, als ich je bei dem Lesen eines so
ungerechten, ehrsüchtigen Verfahrens empfunden hatte.

Andere hatten vor ihm ähnliche Beobachtungen gemacht: Lazare de La Salle, auch
Voltaire und Goethe. Young ist vielleicht der letzte Besucher, der das Elsaß so ohne Einschränkung
als deutsch erleben und beschreiben kann - nach der Revolution und durch
sie ist das nicht mehr möglich. Nur gut zwei Jahre nach ihrem Ausbruch nimmt ein Besucher
eine völlig veränderte nationale Orientierung wahr:

Das Französische mußte in derTat vermittelst der Revolution rasch die Oberhand gewinnen
. Vor dieser wußte und fühlte noch jedermann die deutsche Stammesgenossenschaft
, und suchte mit Fleiß die alte Sitte und Gewöhnung zu bewahren. Die Sprache,
die Religion. dieTracht. die städtische Ordnung, alles stand den französischen Einflüssen
entgegen, die von Seiten des Hofes nur absolutistische und katholische sein konnten
: als aber von Paris her die Freiheitsgrundsätze kamen, alles bisher Gefürchtete verschwand
und die herrlichsten Hoffnungen an die Stelle traten, da mußten alle Schleusen
sich öffnen und die wogende Flut durfte frei hereinströmen. Mit der Freiheit und
dem Bürgertum verbrüderte man sich unbedenklich, mit den wiedergeborenen Franken
wollte man gern in ein Ein Volk zuammenfliessen: schwache Fäden alter Gewöhnung
hielten nicht gegen die neuen starken Bande des Geistes und der Gesinnung.

So beschreibt der Diplomat und Schriftsteller Karl August Varnhagen von Ense die
Atmosphäre Straßburgs. wo er ein Jahr seiner Kindheit verlebte. als sein Vater von 1791
bis 1792 eine Professur an der Universität innehatte. Gewiß schreibt hier der gereifte,
historisch denkende Autobiograph. der auch die weitere Entwicklung überblickt und

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