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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
51.1989, Heft 2.1989
Seite: 97
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nen. allgemein angenommen hätte, so wenig konnte ich glauben, daß es sich durch einen
Machtstreich seine liebsten Vorurteile entreißen lassen würde, und daß mit diesen
Vorurteilen, wenn sie auch sänken (wegen des Mangels an besserm Unterricht), nicht
auch die Stützen der Moralität mit einsinken würden. Immer betrachtete ich also den
Tempel der Vernunft mit einer Art Scheu.

Hier zitiert Bronner wichtige Grundsätze der Aufklärung als eigene Überzeugungen:
Vernunft, freie Entscheidung. Erziehung. Religion als moralische Anstalt. An seiner
Gesinnung kann kein Zweifel bestehen. Bewußt und nach reiflicher Überlegung hatte
er sich gegen Kirche und Religion in ihrer bestehenden Form entschieden. Was ihm indes
in dieser Hinsicht in Colmar vor Augen kommt, übersteigt das Maß seiner eigenen
Kritik.

Ich trabte durch mehrere Gassen, ohne etwas Auffallendes anzutreffen: endlich öffnete
sich ein geräumiger Platz vor einer Kirche, auf welchem ich. bunt durcheinander
in großen Haufen. Altäre. Säulen. Kirchenbänke, Statuen, große Bilderrahmen,
Beichtstühle. Gitter usw: usw.. alles zerschlagen und verdorben, umherliegen sah: ein
paar Sanskulotten hielten Wache dabei, der eine hatte sich gar bequem einen Beichtstuhl
zum Schilderhause gewählt und rief den Mädchen lächerliche Einladungen zur
Beicht und Buße zu. arme Juden klaubten im vergoldeten Holzwerke. einige Karren
wurden von Lutheranern scherzend mit Heiligenbildern beladen, ein Kommissar handelte
mit einigen Kauflustigen um allerlei Geräte. Katholiken gingen vorüber, knirschten
mit den Zähnen und bissen in die Lippen mit grimmigen abgewandten Blicken. Ich
fragte einen Vorübergehenden, der eine ziemlich ruhige Miene machte: "Citoyen, was
hat denn dieserTrödelmarktzu bedeuten ?" - "Merken Sie's denn nicht?" antwortete er
verdrießlich, aber nur halblaut, "hier wirft man das Heiligtum unter die Schweine. Es
ist die wahre Zerstörung Jerusalems." Immer höher stieg meine Verwunderung, wie
sich ein Volk, ohne aufrührerisch zu werden und so stillschweigend, seine Heiligtümer
nehmen lassen könnte, und ich hielt es für übertriebene Kühnheit, für eine Art Grausamkeit
. Katholiken durch den öffentlichen Anblick einer solchen Verwüstung täglich
zu neuem Mißvergnügen aufzureizen und hiermit gleichsam ihrer allerheiligsten Begriffe
zu spotten.

Aber Bronner kam gar nicht in den Zwiespalt, sich für eine Tätigkeit in diesen Verhältnissen
entscheiden zu müssen. Die Revolutionsbehörden in Colmar waren nicht gewillt
, ihm als ausländischen Priester den Aufenthalt in der Stadt zu genehmigen, ja man
machte mehr oder weniger deutliche Anspielungen, er werde noch auf der Guillotine
enden, wenn er die Stadt nicht unverzüglich verlasse. Mit jenem Instrument hatte er bei
seinem Spaziergang durch die Stadt bereits Bekanntschaft gemacht.

Ich ging auf die andre Seite des Münsters, da sah ich eine Herde Sanskulotten. die
sich lustig um eine rotbemalte Bühne jagten: sie war mit einem ebenso gefärbten Geländer
eingefaßt, und eine breite Treppe führte hinauf. Eine gute Weile zerbrach ich mir
den Kopf, was das vorstellen möchte, endlich fragte ich einen ehrlichen Taglöhner. der
mir zur Seite stand: "Das ist gewiß ein Rednerstuhl, um darauf Haranguen ans Volk zu
halten ?" Der Arbeiter beguckte mich von Kopf bis Fuß. schlug ein lautes Gelächter auf
und sagte:"Citoyen.Er ist gewiß ein Fremder! Sieht Er denn nicht? Das ist die Guillotine
: die beiden aufrecht stehenden Säulen mit dem Beile dazwischen hat man vor ein
paar Tagen nach Ruffach geführt, um dort ein paar Aufrührern die Köpfe abzureissen."
- Ich schauerte zusammen, als er so trocken und kalt von der grausamen Maschine
sprach, faßte aber doch den Mut. ihn zu fragen: "Hat man hier auch schon jemanden
guillotiniert?" Er antwortete barsch: "Nicht viele, etwa drei, ein paar Spitzbuben und ein
Weib. "-Nie ging ich ohne widrige Empßndungen an der häßlichen Maschine vorüber.

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