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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
52.1990, Heft 2.1990
Seite: 143
(PDF, 30 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1990-02/0145
pole, um ihn das besondere Spannungsverhältnis von Welt und Region nicht nur erkennen,
sondern leben zu lassen. Der Regionalist Manfred Bosch, der wie kaum ein anderer im Sinne
Hebels für die Heimat tätig ist, ist also ebensowenig wie dieser ein Provinzler.

Hat sich das Preisgericht bei seiner Wahl naturgemäß weniger mit den frühen und aufs
Bayrische gerichteten Arbeiten beschäftigt, so muß der Laudator doch sagen, daß ohne diese
Erkenntnis- und Erlebnisquelle (des Arbeiter- und Gewerkschaftsmilieus, des Zivildienstes im
Altersheim und der bayrischen Provinz) der eigene Weg des Manfred Bosch in die Nähe, die
doch nicht mehr die frühere war, nicht so hätte ausfallen können.

Boschs politische Schriften sind, offenbar von den Erfahrungen des 68ers und des "Zivis"
ausgehend, solche der Politik von unten, nicht aus dem Untergrund, sondern aus der
Grundgesetzbestimmung, die für ihn vor allem in der Erkämpfung einer sozialen Demokratie
liegt. Politik ist bei Bosch eben auch das Problem des Künstlers, der nicht von seinem eigenen
politischen Selbstverständnis abstrahieren kann und voraussetzt, daß dies andere auch nicht
können oder nicht dürfen. So kommt es zu den Gesprächen mit lesenden Arbeitern und
entsprechend zur Stellungnahme von Autoren, die den (Mit-)Herausgeber sicher nicht immer
befriedigt haben mögen (in: "Für wen schreibt der eigentlich?"). Vielleicht befriedigt ihn seine
eigene auch nicht, denn sie ist "ästhetischen und kunstpolitischen Irrtümern" ebenso ausgesetzt
wie die anderer, hebt sich aber durch die Erkenntnis über viele hinaus, daß er jedenfalls nicht
dem Künstlerbild nachstreben will, das - monoman oder proteusisch - auf das Kommunikative
der Kunst allmählich verzichten zu können glaubt. Schon die Wahl seiner Themen und der
Blick auf den lesenden Arbeiter haben Manfred Bosch dagegen immunisiert. Boschs Kulturarbeit
reicht von der Bereitstellung von Material, bei der er ungewöhnliche Findigkeit
entwickelt, über die soziologisch geschulte Darbietung bis zur Ideologiekritik, der "Dokumen-
taranalyse" etwa an der Managerliteratur in "Die Leute behandeln, als ob sie Menschen seien".
In diesem Fall scheint dem Laudator allerdings auch die überzeugendste Sprachanalyse
politisch zu kurz zu greifen. Es wird zuviel von ihr verlangt: sie leistet allenfalls die
Entschleierung der Intention, nicht die Aufdeckung der politischen Wirkung. "Die Menschen
behandeln, als ob sie Menschen seien..." ist, so will es scheinen, noch allemal besser, als sie
behandeln, als ob sie keine wären. Gibt es also ein Mephisto-Prinzip, das als Teil von jener
Kraft... auch hier wirksam ist?

Boschs Alemannische Gedichte, zwischen 1976 und 1983 erschienen, sind mit dem Band
"Wa sollet au d'Leit denke" zum Leidwesen des Laudators als "letzte alemannische Gedichte"
abgeschlossen, aber vielleicht hat er doch noch irgendwo eine Schublade mit Manuskripten.
Mit der politischen Schriftstellerei sind sie wesensverwandt, aber auf unsichtbare, vielleicht
auch unbewußte Weise. Ähnlich wie bei Hebel wissen wir nicht, warum er sie hat eigentlich
dichten müssen, und ähnlich wie bei ihm sind sie - eruptionsartig - in der Dialektfremde
entstanden. Sie gehören nicht mehr in die von Hebel ausgelöste Tradition, jedenfalls setzt sich
Bosch selber davon ab - was er mit Hebel selber gemeinsam haben mag, wäre durchaus noch
zu fragen. Bosch stellt sie wohl in die Nachfolge der Wiener Gruppe um Hans Carl Artmann
und Gerhard Rühm, vielleicht gehören sie noch eher in die Gruppe von deren Nachfolgern, zu
denen auch Kurt Marti zu rechnen wäre. Jedenfalls ist der Akzent einer sozialen Verantwortlichkeit
Markenzeichen gegenüber bloßem Sprachspiel und der Verfremdung durch den
Schriftsatz. Aber was sollen die denken, die dadurch nicht so sehr provoziert werden wie durch
das fremde Wienerische? Die Landsleute vom See nämlich? Sollen sie die Aufforderung
annehmen "(Anstatt ere Widmung): Fiehlet ei / ganz / wie dehomm."

Das bleibt zweideutig. Es ist manchmal etwas ungemütlich "dehomm". Die Montage von
Versatzstücken der Sprache unserer Jugend evoziert zwar die verlorene Heimat, aber zeigt
auch gleich, wie eng sie war - und ist. Wie kommt es, daß gerade der neue Ton der
alemannischen Lyrik, ohne Reim und taktierenden Vers, ohne den südwestalemannisch-

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