Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fm
Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
52.1990, Heft 2.1990
Seite: 145
(PDF, 30 MB)
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doch noch mehr als ein Notdach bewahrt, gewissermaßen eine Zweitwohnung in der Regio,
die inzwischen sein Erstwohnsitz geworden ist. Der sitzenbleibende Stachel der Gedichte
bleibt eben im Mitmenschen haften, sei er nun spießig oder schlitzohrig, nicht in einem teilkonstruierten
homo alemannicus politico-oeconomicus.

Ein weiterer Bereich des Autors Manfred Bosch ist die Dokumentation der Zeitgeschichte
in den Bänden "Als die Freiheit unterging" und "Der Neubeginn": Baden im Dritten Reich und
anschließend Südbaden von 1945-50 sind hier die Themen. Vorgänge sind dokumentiert, die
uns allen irgendwo auch im Dokument vertraut sind. Was aber den Reiz, im Positiven und im
Negativen, ausmacht, ist die Nähe des versammelten Materials, das nicht mehr das als Fremdes
aus der Distanz Lernbare eines Geschichtsbuches sein kann. Personen der Zeitgeschichte
- einige habe ich selbst noch persönlich erlebt - stehen nun mit ihren (Un)Taten und Leiden vor
uns. Wenn wir das alles damals gewußt hätten! Politische und militärische Ereignisse knüpfen
sich an One. deren Substanz sie anreichern. Bosch hat die Dokumente in fleißiger Archivarbeit
ausgegraben und mit klugen allgemeinverständlichen Einleitungen in den richtigen Rahmen
gestellt. Der Südbadener kann so erst das Territorium seines Lebens historisch annehmen. -
Daß er es dank seinem Frondienst in der Allmende-Redaktion seit 1981 auch gegenwärtig -
literarisch, mit Zustimmung und zur Kritik herausgefordert, tun kann, ist nicht das geringste
seiner Verdienste, wird aber, seit die Zeitschrift wieder aus dem Gröbsten heraus ist, leicht
übersehen.

Die Geschichte aber besteht nicht aus gelblich gewordenen Papieren. Personen haben ihr
die Prägung verliehen, besonders die Schriftstellerkollegen Boschs. Oppositionelle. Vertriebene
. Verfolgte wie der Pazifist Max Barth aus Waldkirch, der Publizist und Zeitungsgründer
Erich Schairer. der Schriftsteller Josef W. Janker oder Sepp Mahler, der Lump und Philosoph
der Straße. Sorgfältige Ausgaben, zum Teil aus ungeordnetem Archivmaterial, einfühlsame
Einführungen stellen die Figur des jeweiligen Autors plastisch vor Augen, seine Themen und
Traumata, deren Überwindung, die Um- und Widerstände, an denen sich das Talent erst
ausbilden mußte, die Grunderfahrung und psychische Disposition, das alles mit der gebotenen
Bescheidenheit und Kürze. Manchmal ist es literarische Archäologie, die Bosch betreibt.
Es sind vor allem seine Gesinnungsgenossen, schon vergessene oder solche, die in Gefahr sind,
daß die Literaturgeschichte, von der nur Naive meinen können, sie folge dem Prinzip
historischer Gerechtigkeit, über sie hinwegschreitet. Für Boschs Redlichkeit und sein
unbestechliches Qualitätsempfinden spricht jedoch, daß er aus der Schar der 44 Hebelpreisträger
seines klugen Kataloges einem auch über die Pflicht des Sammlers hinaus gerecht
geworden ist, einem, der ihm politisch ganz fremd sein muß, weil dessen nationalistische
Weltanschauung ihn in einem langen Leben in die Isolation und in ein bis heute dauerndes
Freiburger Tabu geführt hat: Emil Strauß, der trotz allem, was man mit Recht gegen ihn
vorbringen kann, ein großer und im Sinne Boschs regionalistischer Autor gewesen ist.

Und welches ist die Grunderfahrung unseres Preisträgers? Es ist die, wegen der er hier als
Hebelpreisträger steht, eine Erfahrung, die alle Bereiche seines Werkes, den politischen,
lyrischen, literarischen und historischen einigermaßen einheitlich, wenn auch in unterschiedlichen
Graden durchdringt. Es ist die gelebte Erkenntnis, daß man. um ein selbstbestimmtes
und kulturzentriertes Leben als Schriftsteller führen zu können, auf die Teilhabe und
Solidarität ebenso angewiesen ist. wie man sie auch aufbringen muß gegenüber den Mitmenschen
, die man erst durch die Nähe in ihrer Größe und auch ihrer verhockten Provinzialität
erfahren kann, und auch gegenüber denen, die schon seit vielen Jahren tot sind. Die Umwelt
wird dann erst zur lebendigen Region, behält aber ihre wirkungsdurchlässige Öffnung zur
Welt.

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