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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
52.1990, Heft 2.1990
Seite: 147
(PDF, 30 MB)
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Schauts also da heraus - die Leute meisterlos machen? Hat man darin gar eine Verbindung
zu jenem aufklärerischen Postulat zu sehen, mit dem der Ausgang des Menschen aus seiner
selbstverschuldeten Unmündigkeit begründet wurde? "Die Sache fängt an, dem verständigen
Leser einzuleuchten". Doch Hebel hat einen eigenen Begriff von Aufklärung - und ein kleines
Wörtchen, das ihn selber nicht übel charakterisiert. Es heißt "ein bißchen", und als verschwiegenen
Notenschlüssel findet mans vor manchen seiner Kalendergeschichten. Hebel muß das
Wort geliebt haben, denn einmal, in den "Allgemeinen Betrachtungen über das Weltgebäude",
konnte er der Versuchung nicht widerstehen, es an eine höchst merkwürdige Stelle zu
schmuggeln. Der englische Seekapitän Cook, heißt es da, sei auf seiner dritten Weltumsegelung
auf der Insel Owai von den Eingeborenen "ein bißchen totgeschlagen und gegessen"
worden. "Ein bißchen totgeschlagen" - es ist, als ob Hebel noch beim bloßen Erzählen
zurückschreckte vor der Endgültigkeit des Schicksals.

Diese alemannische Moderatheit bestimmt Hebel bis in sein Verhältnis zur Aufklärung
hinein. So wenig er, der er das Universum aufs lieblichste verbauert haben soll, sich mit dem
Licht einer Stall-Laterne begnügte, so wenig mochte er das All mit dem gleißenden Flutlicht
radikaler Entmy thologisierung ausleuchten, und die Bilanzen der Schöpfung nachzuprüfen
schienen ihm die bescheidenen Grundrechnungsarten menschlicher Logik unzureichend.
"Der gelehrige Leser begreifts ein wenig, aber doch nicht recht". Hebels Begriff von Vernunft
ist zu sehr aufs Praktische gerichtet, als daß er in Gefahr stünde, ihr die Wirklichkeit
bedingungslos auszuliefern - andrerseits ändert die Forderung, daß der Mensch Herr werde
über sich selbst, nichts an seiner Erlösungsbedürftigkeit. Hebel mag wohl schon etwas von dem
künftigen Dilemma und der fatalen Dialektik absolut gesetzter Aufklärung geahnt haben, die
so unversehens in eine Diktatur der Rationalität, in die Profanität einer entzauberten Welt
umschlägt. Walter Benjamin hat für diese hebelsche Kunst des Ausgleichs und Nebeneinan-
derbestehenlassens ein schönes Bild gefunden: "Ein Bischofsstab, der sich im Familienbesitz
forterbt, kann eines Tages als ebenso peinlich verworfen werden wie die Jakobinermütze.
Nicht aber jene Brosche, auf der sich Jakobinermütze und Bischofsstab kreuzen". Benjamin
hat diese Brosche am Revers eines Mannes entdeckt, der weder dem jakobinischen Furor
seiner Zeit erlegen war noch sich dem resignierenden Zynismus aufgeklärter Eliten verschrieben
hatte; der zwischen Gotthelfs Zelotentum und Hegels absolut gesetzter Staatsräson
ins Offene einer aufklärerischen Humanität steuerte. Ihren literarischen Niederschlag hat diese
vor allem im "Schatzkästlein" gefunden als einem weltlichen Katechismus - in ihm wird Hebel
nicht müde, die Gesellschaft als eine gesittete zu denken und der Vorstellung zu dienen, daß
dem Menschen nicht erst im Himmel zu helfen sei.

Nicht weniger freilich behauptet jedes beliebige System und jede beliebige Ideologie.
Wenns die guten Leutchen nur endlich begreifen wollten - bekanntlich wäre alles so einfach,
wenn die Menschen nicht wären. Bei Hebel aber sind die Leute n i c h t im Weg. Wer bei ihm
seinen Auftritt bekommt - und der Dichter läßt von keinem, er hätte ihm denn zuvor seine
Geschichte entlockt - darf sich verstanden fühlen bis in seine Unarten hinein - und wenn sie
nur pfiffig und üstig genug sind, gewinnt Hebel auch den Gaunereien noch etwas ab. Er hält
sich so lange wie möglich auf der Seite seiner Figuren; nichts da vom puritanischen Gehabe
der Berufs verarger eines schmalen Lebensglücks: "Item - wenns nur wohlgetan hat". Anders
als die fetten Prediger der Magerkeit, die es nicht nur zu Hebels Zeit ganz in der Ordnung
fanden, daß ab und zu ein Krieg die Menschen in ihrer angeblichen Sittenlosigkeit etwas
zause, bedauert Hebel ganz heinrichheinehaft, daß es mit jenem Krieg "noch nicht recht
hat wollen in Gang kommen, wo mit Apfelküchlein geschossen und kriegsgefangene
Kronentaler eingebracht werden". Hebels Moral ist weit entfernt von jenem pfäffisch
verdorbenen, nicht weiter beweispflichtigen System von Regeln und Verweisen, was man zu
tun oder zu lassen habe - sie steht weder seiner Intelligenz noch seiner Neugier im Wege und

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