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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
54.1992, Heft 2.1992
Seite: 182
(PDF, 34 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1992-02/0184
Festansprache des Hebelpreisträgers 1992,
Professor Adrien Finck, Straßburg

Es war im November 1944. Französische Panzer fuhren durch ein Dorf im elsässischen
Sundgau. Ein Junge stand da vor dem elterlichen Bauernhof. Die Familie hatte schwer unter
der nationalsozialistischen Annexion leiden müssen, der zwangseingezogene Bruder war in
Rußland vermißt. Da kam über die Lippen des Vierzehnjährigen so etwas wie ein Schwur:
Un jetz ke Wort meh Ditsch... Ja, nach dem Erleben des Naziterrors, des Hitlerjugenddrills,
wollte er nun kein Wort Deutsch mehr reden und hören...

Wie kam es dazu, daß er, jenem kindlichen Schwur untreu, sich später dem Studium der
deutschen Sprache und Literatur widmete, daß er sogar Dichtungen in dieser Sprache
schreibt und veröffentlicht, sich für die Erhaltung der alemannischen Mundart im Elsaß
einsetzt, und daß er heute vor Ihnen steht, des Johann Peter Hebel-Preises für würdig
befunden?

Meine Damen und Herren, verzeihen Sie mir. daß ich so weit zurückgreife! Das wäre eine
lange, wohl auch eine allzu elsässische Geschichte, ich kann sie Ihnen jetzt nicht erzählen
(ich habe sie mehrmals in meinen literarischen Versuchen erwähnt), nur einige Beweggründe
und Erkenntnisse will ich kurz zusammenfassend hervorheben, insofern sie hier und heute
uns alle angehen mögen.

Es war eine ähnliche, schwierige Bewußtwerdung. d.h. (wie ich das retrospektiv verstehe)
zuerst einmal ein Bewußtwerden, und d.h. bei uns auch: eine Beschwörung der Gespenster
elsässischer Vergangenheit, des Verdrängten, des durch die nationalen Vorurteile Verfälschten
und den Völkerhaß Zerstörten. Es ging um eine Wiederherstellung des inneren Gleichgewichts
durch eine Wiedergewinnung der deutschen Sprache. Es war ein zunehmend sich
aufdrängendes Gefühl der Verantwortung: als Intellektueller, als Lehrer an der Straßburger
Universität fühle ich mich verantwortlich für die elsässische Sprache und Kultur. In diesem
Sinn habe ich mich seit den 80er Jahren für Rene Schickele eingesetzt, unseren gemeinsamen
, so bedeutenden alemannisch-elsässischen Europäer, der als deutschsprachiger Autor
im Elsaß tabu, als "Autonomist" verrufen war. Es war schon spät geworden. Ich wollte
eigentlich bereits um 1960 meine These de Doctorat dEtat über Schickele schreiben, doch
mein Doktorvater, der es gut mit mir meinte, riet damals ab. mahnte zur Vorsicht: "Pensez
ä votre carriere universitäre!" Ich befaßte mich darauf mit Georg Trakl. was ich ja gar nicht
bereue, ganz im Gegenteil! kam aber erst im Laufe der 70er Jahre zur elsässischen Literatur.
Es waren äußere und innere Hindernisse zu überwinden, und so kam es auch, daß ich erst spät
begann, literarische Arbeiten zu veröffentlichen, obwohl ich schon immer "geschrieben"
hatte, doch nicht ohne das elsässische Sprachproblem traumatisch zu erleben. Ganz
besonders mit meinen Mundartdichtungen wollte und will ich ein Zeugnis ablegen und dazu
beitragen, die ästhetischen Möglichkeiten einer Sprache zu beweisen, die lange aus der
Schule ausgeschlossen, nur zu oft von der geistigen Elite verleugnet, höchstens als
folkIoristisches Reservat geduldet wurde. Einmal mußte es hervorbrechen: "Jetz red i in
ninra Sproch"...

Dieser lange Weg einer elsässischen Bewußtwerdung wäre nicht möglich gewesen ohne
Weg-Weiser. Da müßte ich nun eine Reihe von Lehrmeistern und Freunden dankbar
erwähnen. Ich will hier und heute nur auf unseren Versuch zurückkommen, die Mundart im
Elsaß zu retten, und zwar durch unser Engagement und unser Dichten. Wir bildeten nie eine
feste Organisation, aber einen umso festeren Freundeskreis. Uns allen war Andre Weckmann

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