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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
55.1993, Heft 1.1993
Seite: 181
(PDF, 29 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1993-01/0183
1635 geriet Wehr wieder in den Sog großer Katastrophen. Wir begegnen nun Menschen, die
uns ihr Gesicht zeigen, als wollten sie uns sagen: Seht genau her und erkennt, was der Krieg
uns angetan hat. Vom großen Leid erzählen die Einsiedler Mirakelbücher. Sie berichten aber
auch vom unglaublichen Glück des Jost Bühler aus Wehr. Diesen einfachen Mann hatten die
beutegierigen Schweden in Schopfheim ergriffen und zum Tode verurteilt, wenn er nicht
umgehend 200 Taler beschaffe. Mit 3 Ketten und 5 Malschlössern hatte man ihn gefesselt. In
seiner Not gelobte er eine Wallfahrt nach Einsiedeln, sollte er jemals freikommen. Als er dann
die Schlösser zu öffnen versuchte, stellte er fest, daß sie gar nicht geschlossen waren. Vielleicht
hatte der Wachsoldat zu viel vom Markgräfler gezecht, jedenfalls konnte B ühler sich der Ketten
entledigen und fliehen. 1639 machte er dann seine Wallfahrt nach Einsiedeln, wo er die
wunderbare Errettung zu Protokoll gab.

Nicht alle hatten solches Glück. Einem Eintrag im Kirchenbuch der Pfarrei Wehr können w ir
das Ausmaß des Unglücks entnehmen, das über das stille Tal hereingebrochen war. Er stammt
aus der Feder des Pfarrers Johann Huber aus Laufenburg, der im Jahr 1622 sein schweres Amt
auf Empfehlung des Adam Hector von Rosenbach, dem damaligen Vormund der schönauischen
Erben, angetreten harte. Wir wissen fast nichts von diesem gewiß tapferen Mann, der mit seiner
Gemeinde alle Schrecken und Fährnisse des Krieges und der Pest durchlebte. Aber die wenigen
Sätze, die von ihm überliefert sind, sagen in ihrer ergreifenden Schlichtheit und beredten Kürze
mehr aus als mancher ellenlange Roman: "Vor dem Krieg hatte Wehr 833 Seelen, 1645 nicht
mehr als 213. Soviel durch Hunger. Pest und Krieg sind umbkommen. Denen allen Gott gnädig
sein woll." Pfarrer Johann Huber starb am 10. Juni 1657 in Wehr.

Die unsäglichen Verwüstungen des 30jährigen Krieges und die bittere Not wurden nur
langsam behoben. Es brauchte lange, bis die zerstörte Wirtschaft wieder in Gang kam. Die noch
lang anhaltende Kapitalknappheit machte sich vor allem im Wehrer Eisenwerk bemerkbar,
dessen Anfänge im Mittelalter lagen. Wehr besaß einen nicht unbedeutenden Anteil an der
Eisenproduktion des Hochrheins. Wasser und Holz waren in ausreichendem Ausmaß vorhanden,
um das aus dem Fricktal herbeigekarrte Erz zu verhütten. Nach dem Kriege geriet das
Eisenwerk, das seit 1494 dem Hammerbund angehörte, in Konkurs. In der Folge wechselten
immer wieder die Besitzer, bis es im Jahr 1801 in die Hand eines Mannes geriet, der
Einzigartiges für Wehr geleistet hat. Ich meine Philipp Merian. der als Erbe der Gebrüder
Samuel und Johann Jakob Merian das Werk übernahm und tatkräftig auszubauen sich mühte.
Merian entstammte einer reichen Basler Familie. Er nahm in Wehr seinen Wohnsitz, um sich
der neuen Aufgabe widmen zu können. Da sich aber die Zeit der hochrheinischen Eisenproduktion
ihrem Ende entgegenneigte und die badische Regierung zudem bestrebt war. den
Basler Einfluß einzudämmen, verkaufte er das Hüttenwerk 1819 an den badischen Staat und
zog nach Freiburg, wo er sich durch großzügige Stiftungen hervortat. Die zwei Jahrzehnte, die
er in Wehr v erbracht hatte, scheinen in ihm starke Gefühle hinterlassen zu haben. Im Jahr 1830
eröffnete er der Gemeinde seinen Wunsch, ein Kapital von 10.000 Gulden zur Errichtung eines
Arbeitshauses zu stiften, das den Ideen der damaligen Philanthropen entsprechen sollte: Es
sollte eine Heimspinnerei zur Arbeitsbeschaffung für entwurzelte Arme eingerichtet werden,
femer sollten 40 bis 50 Krüppel untergebracht werden. Dieser Wunsch ließ sich aber nicht
umsetzen, so daß nur noch von einem Armenhaus die Rede war. dessen Bau im November 1830
beschlossen und 1831 in Angriff genommen wurde. 1834 konnte es bezogen werden. Merian
erhielt zum Dank das Bürgerrecht der Gemeinde Wehr, seine Schwester Anna Margaretha,
w eiche die Stiftung um 1.200 Gulden erweitert hatte, das Ehrenbürgerrecht. Mit der Merianschen
Stiftung wurde das Fundament der Bürgerstiftung gelegt, die in der Kranken- und Altenpflege
Unschätzbares geleistet hat und heute noch leistet. Ohne Übertreibung darf man Philipp
Merian. der im Revolutionsjahr 1848 starb, als den Begründer der kommunalen Sozialarbeit
in Wehr bezeichnen.

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