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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
55.1993, Heft 1.1993
Seite: 183
(PDF, 29 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1993-01/0185
Ähnlich markanten Persönlichkeiten begegnen wir zu jener Zeit auch im politischen Leben
unserer Stadt. Der industrielle Aufschwung bedurfte infrastruktureller Anstrengungen, die nur
mit einer funktionierenden Verwaltung zu bewerkstelligen waren. Es ist der Energie und
Tatkraft der damaligen Bürgermeister zu verdanken, daß die "interne Verwaltung", die. wie
Jehle schreibt, "noch vielfach zu wünschen übrig" ließ, modernisiert und den neuen Anforderungen
angepaßt wurde. Bürgermeister wie Franz Xaver Nägele. Josef Villinger oder Franz
Ehinger legten in den Jahren von 1852 bis 1882 die infrastrukturellen Grundlagen für die
Industrieansiedlung. die dem Ort Arbeitsplätze und Wohlstand brachte. Alle diese Bürgermeister
sorgten sich indes nicht nur um das Funktionieren der Verwaltung, sondern spielten im
Kulturleben des Ortes als Vereinsgründer und Vorstandsmitglieder eine entscheidende Rolle.
Sie begriffen, daß die von unserer Industrie geschaffenen "Heimaten" auch der kulturellen
Durchdringung bedurften, um als Lebensräume dienen zu können.

Allerdings war dieser Prozeß keinesfalls geradlinig verlaufen. Bei so viel Licht muß doch
auch etwas Schatten fallen. Ich möchte Ihnen das einzige schwarze Schaf aus der Liste der
Bürgermeister des 19. Jahrhunderts präsentieren - nicht der Kuriosität halber, sondern wegen
der politischen Bedeutung, die mit einem Skandal verknüpft ist. der sich zwischen 1882 und
1884 in Wehr abspielte. Es geht um Johann Baptist Trefzger. der 1882 zum Bürgermeister
gewählt wurde. In Jehles Chronik heißt es dazu in einer diskreten Fußnote: "Joh. Bapt. Trefzger
wurde am 9. Okt. 1884 durch Beschluß des Bezirksrats Schopfheim seines Amtes enthoben
wegen ungenügender Dienstführung und Handhabung der Ortspolizei, wenig angemessenem
Benehmen und förmlicher Dienstwidrigkeiten und groben Vergehens gegen Anstand und
Sitte". Fußnoten haben mich schon immer neugierig gemacht. So ging ich auf Fahnders Spuren
ins Wehrer Stadtarchiv und wurde auch fündig. Im Mittelpunkt einer ausführlichen Akte steht
eine 35-seitige Begründung jenes Urteils, mit dem Trefzger aus dem Amt entfernt wurde. Der
Schrift entnehmen wir. daß Trefzger. der vor seiner Wahl als Färber in der Textilindustrie
gearbeitet hatte, seine Ortspolizisten zu Dienstvergehen anhielt, seinen Amtsgeschäften nicht
nachging, sich über Weisungen höherer Stellen hinwegsetzte, bei einem Streik die Arbeiter
zum Widerstand gegen die Betriebsleitung anstachelte, sich ausgiebig in Kneipen aufhielt, wo
er majestätsbeleidigende Zoten riß oder der Wirtin, wie es in dem Papier heißt, "von hinten
durch die Röcke hindurch zwischen die Beine" griff, "worauf dieselbe laut aufschrie".

Merkwürdig ist nun der Umstand, daß Trefzger. der bald nach seiner ersten Wahl im Jahr
1882 freiwillig zurückgetreten war. weil er die Amtsgeschäfte nicht bewältigte, kurz darauf von
den wahlberechtigten Wehrern mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt wurde. Man
wußte doch, wes Geistes Kind dieser Mann war. Seine Wiederwahl wird nicht an dem von ihm
versprochenen Freibier gelegen haben. Näher liegt die Vermutung, daß Trefzger ein Spielball
politischer Interessen war. Wie Sie wissen, war das Wehratal vorderösterreichisch. während
das Wiesental zur alten Markgrafschaft zählte. Im Jahr 1864 wurde Wehr nun vom Amt
Säckingen getrennt und Schopfheim zugeschlagen in der Hoffnung, aufgrund der günstigeren
Verkehrsverhältnisse am industriellen Aufschwung des Wiesentals partizipieren zu können.
Allerdings wollte es nie so recht zu einem echten Zusammenw achsen beider Gebiete kommen,
da die kulturellen und konfessionellen Grenzen größer als angenommen waren.

Nun berief sich Trefzger darauf, daß er nur deshalb Zielscheibe der Ermittlung und
Observation durch das Bezirksamt Schopfheim geworden war. weil er ein Ultramontaner, also
ein Anhänger der katholischen Kirche und des Papstes gewesen sei. Diese Aussage muß den
Historiker hellhörig machen. Trefzger wirft ein Reizwort des Kirchenkampfes in die Debatte,
um dadurch eine Frontstellung gegen das protestantische Wiesental aufzubauen. Eventuell,
hier müßten nun weitere Nachforschungen beginnen, wurde er vom katholischen Wehr allein
deshalb gewählt, um dem protestantischen und übergeordneten Schopfheim, das damals
weniger Einwohner als Wehr hatte, eins auszuwischen. Jedenfalls wird an diesem Beispiel

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