Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fm
Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
55.1993, Heft 2.1993
Seite: 118
(PDF, 31 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1993-02/0120
Der Start gelingt, beide können von Kreta fliehen, werden - wie auch auf Matthäus Merians
Darstellung - von vielen Menschen gesehen (Met. V. 217 - 220):

"Die beiden sah einer, als er mit schwankender Angelrute Fische fing, oder ein Hirte. der sich
auf seinen Stab, oder ein Ackersmann, der sich auf den Pflugsterz stützte: Er sah sie. staunte
und war überzeugt: Das sind Götter, denn sie können durch den Äther ziehen."

Auf Merians Bild schauen auch gerade Fischer zu. und im Vordergrund diskutieren zwei
Beobachter, einer davon auf einen Stab gestützt, über das außergewöhnliche Ereignis. Keine
Frage also, daß Matthäus Merian "seinen" Ovid kannte, ja er folgt ihm sogar auf poetischen
Pfaden, indem er selbst zwei lateinische Disticha dem Bild beifügt, wie Ovid das Distichon in
der "Ars amatoria" im Wechsel von Hexameter und Pentameter verwendet (vgl. Anhang im
Aufsatz von W. Kuchenmüller).

Doch statt über Samos und Naxos, Paros und Delos. Lebinthos. Kalymne und Astypalea führt
ihre Flugroute bei Merian über das Grenzacher Horn und den Rhein. Hier vollzieht sich dann
die Katastrophe, geradezu provoziert durch den jugendlichen Übermut des waghalsigen Ikaros,
der in seiner Hybris zu hoch hinaus will und darum zu Recht abstürzt: "Icarus at merito. cum
petat alta, cadit," dichtet Merian. In Ovids "Ars amatoria" erscheint die Schilderung des
Absturzes gerafft, geradezu in "grausamer Zeitlupenaufnahme", wie M. v. Albrecht meint
(V. 85 - 92):

"Die Fesseln lockern sich; da der Sonnengott näher ist, wird das Wachs flüssig, und die
Armbewegungen erhaschen nicht mehr den flüchtigen Wind. Erschrocken bückte er (Ikarus)
von der Höhe des Himmels hinab auf die Meeresfläche: Da kam vor lähmender Furcht die
Nacht und senkte sich über die Augen nieder. Das Wachs war geschmolzen; er schüttelt die
bloßen Arme, zappelt und hat nichts, womit er sich stützen kann. Er fällt und im Fallen ruft er:
'Vater, Vater ich stürze'. Es schlössen die grünen Wasser den Mund, während er noch rief.

Am Ende steht die Klage des Vaters (Met. 8, 231 - 235):

"Aber der unglückliche Vater, kein Vater mehr: 'Ikarus!', rief er, 'wo bist du? In welcher
Richtung soll ich dich suchen, Ikarus?' sagte er noch - da erblickte er die Federn in den Wellen,
verfluchte seine Künste und barg den Leichnam in einem Grabe. Und das Land wurde nach dem
Bestatteten benannt."

Tatsächlich hieß die Insel in der Nähe des mythologischen Absturzortes in der Antike
"Ikaria" und der Teil der Ägäis zwischen den Inseln Chios und Kos das "Ikarische Meer".

Die Realisierung des Traumes oder die Geschichte der Luftfahrt

Soll dem Mythos von Daidalos und Ikaros ein historischer Kern zugrundehegen, dann wäre
der Flugversuch vor den Untergang der minoischen Kultur auf Kreta zu datieren, also vor das
Jahr 1450 v.Chr. Die moderne Forschung konstatiert für diese Zeit die kretisch-minoische
Hochkultur mit der ältesten Schrift auf europäischem Boden, ausgeprägtem Seehandel,
prächtigen Bauten, hervorragender Handwerkstechnik und hohem künstlerischen Geschmack.
Konnte damals nicht schon ein innovativ-begabter Mensch das Verlangen gespürt haben, sich
in die Lüfte zu begeben? Allerdings findet der erste historisch nachgewiesene Versuch dann
erst eineinhalb Jahrtausend später statt. Der Magier Simon, genannt "magnus" ("der Große"),
behauptete, der Mensch könne alles verwirklichen, wenn er nur wolle. Um die Richtigkeit
seiner These zu beweisen, stürzt er sich vor den Augen Kaiser Neros (54-68 n.Chr.) in die Tiefe
eines Amphitheaters - und bricht sich dabei das Genick. Nicht besser erging es um 880 n.Ch.
dem arabischen Arzt Ibn Firnas im heutigen Spanien, als er sich mit seiner Gleitflugmaschine
zwar einige Zeit in der Luft hielt, dann aber abstürzte.

118


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1993-02/0120