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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
57.1995, Heft 1.1995
Seite: 118
(PDF, 34 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1995-01/0120
Feiertagserinnerungen aus meiner
Müllheimer Kindheit

Justin J. Mueller

Ich weiß nicht, wie die Kinder das heute empfinden. Aber vielleicht hat sich gar
nicht viel geändert. Jedenfalls, als ich noch ein Kind war. wäre für mich ein Jahr nur
eine Abfolge von Tagen gewesen, von kurzen dunklen, regennassen, langen und
sonnendurchwärmten, neblig feuchten, kalten, grob gegliedert in Schultage und
Ferientage, wenn nicht die Feiertage gewesen wären. Sie waren die Höhepunkte im
Jahr, auf die die ganze Familie bewußt zulebte, die auch Kraft gaben für den Alltag,
von denen man zehrte und von denen manche sich so tief in die Erinnerung
eingedrückt haben, daß sie nach langen Jahren, in einem anderen Kontinent, immer
noch lebendig sind. Feiertage, die ein jüdisches Kind inmitten einer lebendigen
jüdischen Gemeinde im markgräflerischen Müllheim erlebt hat. Lang ist es her.

Meine Mutter Laura wurde im Jahr 1922 in die Nähe von Köln nach Lechenich
verheiratet. Sie wurde. So war das damals noch Usus. Die Schwiegermutter stammte
selbst auch aus Müllheim und wollte für ihren Sohn wiederum eine Müllheimerin
haben. Eine Müllheimerin galt eben als etwas Besonderes, und die Liebe würde sich
schon noch einstellen. Aber das ging nicht gut. Im Januar 1926 kam meine Mutter
wieder nach Müllheim zurück, mit mir. und dann wohnten wir bei ihren Eltern,
meinen Großeltern. Gustav und Karoline Zivi, in der Hauptstraße 107.

Die Müllheimer Juden waren fromme Juden. Ich will das Wort „orthodox"
vermeiden, weil man nicht überall auf der Welt die gleichen Vorstellungen damit
verbindet. Es waren also fromme Juden, und Großvater war ihr Parnes. der Vorsteher
ihrer Gemeinde. So war es selbstverständlich, daß in der Familie alle religiösen
Gesetze und Bräuche ziemlich genau eingehalten wurden, wie dies Tradition bei allen
alten jüdischen Familien in Müllheim war. Unsere war nach den vorhandenen
Dokumenten seit 1717 dort ansässig, nach der mündlichen Familienüberlieferung
aber schon früher.

Großvater pflegte jeden Morgen und Abend die der Tageszeit gemäßen Gebete zu
sagen, morgens wurden noch ..Tefillim gelegt'", also die Gebetsriemen um Stirn und
Arm nach der Vorschrift gewunden. Und wenn in Freiburg ein großer Viehmarkt war,
zu dem die meisten Viehhändler, wie mein Großvater einer war, fuhren, wurde sogar
im Eisenbahncoupe 3. Klasse zusammen gebetet.

Die Synagoge besuchte man regelmäßig, am Sabbat ebenso wie an Feiertagen.
Während der Woche gab es keinen regulären Gottesdienst mehr wie vor vielen Jahren
noch, außer an den verschiedenen kleineren Feiertagen und für die Jahrzeiten, den
Jahrestagen für die Verstorbenen.

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