http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1997-01/0170
86. Hertinger Hebelschoppen
Martin Keller
Vierter Oktober-Sonntag (14.00 Uhr in der Kirche; 15.00 Uhr im nahen Bürgersaal
zum gemütlichen Zusammensein): AUF zum Hebelschoppen!
Oft fand sich in vergangenen Jahren kaum ein leeres Plätzchen... Seit den frühen
50er Jahren bin ich ununterbrochen dabei: So viele freie Plätze wie in diesem
Spätjahr habe ich nie gesehen. Woran liegt's? Ist's nicht mehr so bekannt, oder
war das Wetter an diesem 27.10.96 zu schön?
Das Gebotene wechselt natürlich von Jahr zu Jahr. Aber ein Gang zum Hebelschoppen
lohnt sich. Darum am besten gleich den vierten Oktober-Sonntag 1997.
14.00 Uhr, vormerken!
Dr. Erhard Richter, Vorsitzender unseres Geschichtsvereins, sprach in der Kirche
über ..Johann Peter Hebel und der Realismus des 19. Jahrhunderts". Überzeugend
wurde in diesem Vortrag dargelegt, daß Hebel (f 22.9.1826; seine wichtigste
Schaffenszeit lag aber weit vor seinem Tod) den zwischen 1830 und 1870 vorherrschenden
literarischen Realismus vorweggenommen hat. Was ist wesentlich für
diesen Realismus? Nach Erhard Richter sind dies:
1. ) Im Vergleich zur vorausgegangenen Zeit wird die Wirklichkeit vollständiger.
wahrheitsgetreuer wiedergegeben, wobei diese Wirklichkeit (im Gegensatz
zum nachfolgenden Naturalismus) poetisch überhöht wird:
2. ) Ein ..fröhliches Heimatbewußtsein der deutschen Stämme*' (wie es Wilh.
Riehl nannte):
3. ) Die Verbindung mit aller Kreatur und schließlich
4. ) Die Vermenschlichung aller Dinge (die nach Wilh. Altwegg das „eigentliche
Geheimnis" von Hebels Kunst bedeutet).
Erhard Richter zeigte dann an Beispielen, wie nahe Hebel den erst später wirkenden
Dichtern Jeremias Gotthelf. Gottfried Keller. Annette von Droste-Hüls-
hoff. Adalbert Stifter und Theodor Storm ist.
An Beispielen wurde die Übereinstimmung der Anschauungen im erwähnten
Dichterkreis verdeutlicht. Goethe habe, durchaus anerkennend, geäußert. Hebel
habe das Universum verbauert. Von Gotthelf habe man gesagt, er universalisiere
das Bauerntum. Gleichgerichtete Aussagen der erwähnten Dichter bestätigen ihre
Bindungen an die Heimat und ihre Menschen, die Verbundenheit mit aller Kreatur
, die Vermenschlichung aller Dinge (wo auch das Böse nicht fehlt). Gerne
hörten wir so klar bekräftigende Beispiele: etwa aus „Sommerabend", wo die
Sonne zur großen Mutter wird, die am Abend müde ist wie eine Wiesentäler
Bäuerin. Und ihr Mann, der Mond, ist „ihr redli Huus-Chrütz". denn wenn sie
heimkommt, geht er stets fort...
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