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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
61.1999, Heft 2.1999
Seite: 136
(PDF, 36 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1999-02/0138
auffallend lautes Zirpen, das bis um 100 Meter weit gehört werden kann. Im
Gegensatz zu den anderen laut zirpenden Grillenarten ist dieses Tierchen auch
noch im Herbst zu hören. Das Weinhähnchen ist ein blaßgelbliches, fast durchsichtiges
und zartes Insekt, das bei seinem Musizieren gewöhnlich nicht beobachtet
werden kann. Wenn die wärmeliebende kleine Weinbergsgrille besonders lange
in den Herbst hinein und besonders andauernd zirpt, nachts und - bei eher bedecktem
Himmel - auch tagsüber, ist dies ein Zeichen für noch in dieser Jahreszeit
andauerndes warmes Wetter und daher für ein gutes Weinjahr.

Besonders dieser Zusammenhang wie auch die Tatsache, daß der kleine Musikant
praktisch nie gesehen, sein eindringlicher Gesang aber umso besser gehört
werden kann, legt den Gedanken nahe, daß aufgrund eines „Erlebnisses des Ohres
" im Volk die Vorstellung von einem Kobold oder Erdgeist, eben dem „Wigi-
gerle" entstanden sein könnte und als Sage weiterlebte.

In den Sagen vom W'eingeigerlein und vom Schellenmännlein treten allerdings
Widersprüche auf. denn es ist in ihnen von der Zeit der Rebenblüte, also vom
Frühsommer, die Rede, beim Schellenmännlein auch vom Herbst - doch wer
könnte einer Sage einen Widerspruch verübeln! Während der Rebenblüte ist das
Weinhähnchen noch nicht zu hören, denn seine Metamorphose ist in unseren
Gegenden erst im Hoch- bis Spätsommer abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt
besinnen die Männchen mit ihrem Gesana. um die Weibchen anzulocken. In
manchen Weinbaugebieten Südeuropas betrachten die Rebbauern das Weinhähnchen
mit seinem lauten Zirpen geradezu als Anzeiger für das Reifen der Trauben.

In seinem Gedicht siedelt Nathan Katz im Gegensatz zur Sage das nächtliche
Spiel des Weingeigerleins eindeutig im Herbst an: Die Fässer sind „gerüstet", und
„d'Tribel hänke wie no kä Johr". Gäbe es die Sage vom Weingeigerlein nicht, so
könnte man wohl ohne Umweg im „Wigigerle"2' ein natürliches Wesen, eben die
musizierende kleine Grille, sehen - vermeint man doch im Gedicht von Nathan Katz
geradezu deren unermüdlichen Gesang, der durch die Rebberge zog. zu hören. Es
fällt nicht schwer, sich vorzustellen, unser Dichter habe bei seinem Gang in einer
warmen Frühherbstnacht durch den ..Brunschtemer Räbbärg" - den es früher wirklich
gab - oder in der Umgebung anderer Weinbaudörfer seiner Sundgauheimat
entzückt dem lieblichen Spiel der Weinhähnchen gelauscht und in seinem Gedicht
die Sage mit seinem eigenen Erleben verwoben. Wir können es natürlich nicht
beweisen und Nathan Katz leider auch nicht mehr selbst danach fragen. Aber seine
tiefe und liebevolle Verbundenheit mit der Natur und allem Lebendigen in seiner
dörflichen Welt gibt uns vielleicht trotzdem das Recht zu dieser Annahme.

Anmerkungen

1) Der Akzent auf einzelnen ..ä" bedeutet, daß es sich um das helle ..a" im Gegensatz zum („schwedischen
") dunkeln ..a" in der Sundgauer Mundart handelt.

2) Eine auffallende Parallele zum..Wigigerle" ist die im Unterelsaß gebräuchliche Bezeichnung ..Heigigerle"
für ein wirkliches Insekt, eine Grille, die sich im Heu verbirgt (C. Guizard: Tresor dialectal. Mulhouse
1989. S. 323).

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