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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
65.2003, Heft 1.2003
Seite: 155
(PDF, 32 MB)
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Doch ob „gemacht" oder „naturwüchsig herausgesungen": das mundartliche
Werk Manfred Marquardts steht in seiner Zeit einzig da. In ihm. möchte man
sagen, komme eine Region zu sich selbst. Es besticht durch die Breite seiner
Ausdrucksmöglichkeiten, denen sprachliche Gesten von franziskanischem Charme
ebenso zur Verfügung stehen wie subtiler Spott und entschiedener Protest, der sich
zu alttestamentarischem Zorn steigern kann. Für das Bewusstsein menschlicher
Hinfälligkeit, ja der Todesverfallenheit alles Lebendigen fand er Bilder, die an die
Tradition des Basler „Totentanz" gemahnen oder die Topoi barocker Literatur
beerben: es gibt in seinem Werk aber auch Gedichte, in denen sich ganz hiesige
und autochthone Bilder von bewegender Kraft und Symbolik finden:

„Wo isch me gsi im Läbe?
Ne wengli hintrem Hus
Am Rhy un in de Räbe
Un öb d'es denksch.
isch's us."

Ein gleichermaßen bewegendes „memento mori" zu finden, muß man schon zu
Hebel greifen - vielleicht, dass ihm noch der Schluss einer Erzählung des alemannisch
-jüdischen Dichters Jacob Picard an die Seite zu stellen wäre, der seinem
sterbenden Großvater die Worte in den Mund gelegt hat: „Jetzt isch mir grad als
ob ich amol durchs Dorf sänge wär".

C CT

Doch darf man Marquardts Haltung weder „todessüchtig" nennen noch behaupten
, er spiele „leichtfertig auf dem Instrument der Krisenfurcht" (Klaus Robert
Bachmann). Wäre Marquardt nur die männliche Ausgabe einer Kassandra gewesen
, die sich in zwar dichterischem, letztlich aber unfruchtbarem und unwirksamem
„Dauer-Alarm" erschöpfte - man könnte ihn unter den Blüten verbuchen,
wie aufgeregte und aufgebrachte Zeiten sie hervorzutreiben pflegen. Zwar empfangen
uns manche von Marquardts Gedichten, wie Tonio Passlick nach dem
Erscheinen von „Noo de Zwölfe!" bemerkte, „im schwarzen Anzug" - doch ihr
Autor war weit mehr und anderes als ein ewiger Mahner und Warner. Denn gerade
weil - wie er zuletzt an sich selbst erfahren musste - alles Leben so hinfällig ist,
wurde er nicht müde, es zu preisen. Auch war er selber alles andere als ein
Verächter seiner Freuden - und wer sich ihm anschloss. hatte nicht nur einen
kundigen Führer zum „Geist der Landschaft", sondern auch einen intimen Kenner
ihrer Genüsse. Einen seiner größten erkannte er im Wein, dem er literarisch immer
neu huldigte. Für Marquardt hatte er wohl etwas von einem Symbol - er stand für
alles Hergebrachte und Autochthone. für das er in seiner Gegenwart immer weniger
Möglichkeiten der Bewahrung sah. Etwas vom „dionysischen" und „antäi-
schen Unterfutter" dieses Lebensentwurfs kommt in dem Gedicht „Lueg in Spiegel
" zum Ausdruck, das man wohl auch als ein Selbstporträt lesen darf:

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