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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
34. Heft.1954
Seite: 78
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interessiert Sie sicher, auch zu erfahren, wie viele Pflanzen für sie
„offizinell" waren, von denen sie also nicht nur Bezeichnung und
Wirkung der Teile, sondern auch Standort und, was medizinisch
äußerst wichtig ist, die Jahres- und Tageszeiten höchster Potenzierung
der in ihnen wirksamen Stoffe, die sie, weil ihr die chemischen
Kenntnisse fehlten, Kräfte nannte, kannte: es waren weit über
100 Heilkräuter, ungerechnet noch über zwei Dutzend Giftpflanzen,
aus welchen Zahlen Sie auf den Umfang ihres Heilwissens schließen
können, denn auch gegen Vergiftungen in vorgeschrittenem Stadium,
das heißt wenn Entleerung von Magen und Darm zu spät kam,
hatte sie noch wirksame Mittel — und sah sie die Aussichtslosigkeit
eines Falles, dann lehnte sie die Behandlung konsequent ab.

Originell war vielleicht die Diagnostizierung bei inneren
Krankheiten: „Jede Maschine", sagte sie mir, „hat bei regulärem
Gang ihre eigentümlichen Geräusche. Funktioniert sie nicht, so versucht
der erfahrene Mechaniker, bevor er ihre Verschlüsse löst, zu
erhorchen, was er noch nicht ersehen kann. Ist nicht auch der
Mensch ein Organismus mit .gesunden' und mit .kranken'Geräuschen?
Also!?!"

Von einem ihrer segenbringendsten Gebiete hielt sie mich fern,
bis ich in meinem Studium weit genug vorgeschritten war: die Behandlung
der Folgen außerehelicher Zeugung: Sie kannte die Mittel
zur Verhütung der Empfängnis wie die zur Abtötung der Leibesfrucht
— aber man mochte ihr jede Summe bieten, sie lehnte ab,
ließ sich aber jeden „Fall" von den betroffenen Mädchen nach sorgfältig
von ihr erwogenen Gesichtspunkten berichten und bestellte
dann den Kindsvater ein; kam er nicht, so wußte sie ihn in seiner
Wohnstätte zu treffen. Nur mit einem einzigen Argument arbeitete
sie: „Wenn dir das Mädchen recht war, es zur Mutter zu machen,
muß es dir auch zur Frau taugen, sonst bist du ein Lump. Sie paßt
den Eltern nicht? Warum hast du Vater und Mutter nicht vorher
gefragt?!?" Wer durchaus Lump sein wollte oder sich von seinen
Angehörigen dazu machen ließ, dem wußte sie eine Abfindungssumme
aufzuerlegen, daß ihm samt seinen Eltern schwarz vor den
Augen wurde. War der Vater gar ein liederlicher Ehemann, so
stellte sie ihn vor die Wahl, zu zahlen oder öffentlich genannt zu
werden. Unerläßliche Voraussetzung für ihr Eingreifen war aber,
daß das betroffene Mädchen sittlich einwandfrei war. Sie erreichte
damit, daß die unehelichen Geburten auf ein Mindestmaß sanken,
manchem sonst braven Mädchen ersparte sie die Schande, und viele
liebende Paare führte sie zusammen.

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