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der in den französischen Hugenottenkriegen seinen Glauben mutig bekannt hat.
Die Beschwörungen und das „Pulver gegen maleficia (böse Einflüsse)" beweisen,
daß mit der Heiligen- und Reliquienverehrung sich auch abergläubische Anschauungen
eingeschlichen haben. Das religiöse Volksleben ging eben oft seine eigenen
Wege, die von der Kirche nicht gebilligt worden sind. Schließlich muß man bedenken
, daß das 18. Jahrhundert noch eine medizinarme Zeit gewesen ist, in der
die Angst vor dem Tod noch groß war. In den Tagen der Not nahm der abergläubische
Mensch oft zu Beschwörungen seine Zuflucht.
Die Urkunde von 1852
Als die Urkunde von 1726 bei der ersten Renovierung des Turms entdeckt
wurde, waren 124 Jahre verflossen. Die Aufklärung und die Französische Revolution
hatten ein neues Zeitalter heraufgeführt und alle Lebensgebiete säkularisiert
. Das Römische Reich Deutscher Nation war untergegangen und mit ihm
die Reichsunmittelbarkeit von über 50 deutschen Städten. Das Großherzogtum
Baden war entstanden. Offenburg war eine badische Stadt geworden, deren
Bürger noch der verlorenen Reichsfreiheit nachtrauerten. In den meisten deutschen
Einzelstaaten herrschten die Fürsten unumschränkt. In Baden, das seit 1818 eine
Verfassung hatte, wurde diese immer wieder von der Regierung verletzt. Das
Bürgertum lehnte sich auf und forderte einen freiheitlich regierten Staat. Die Entwicklung
drängte zur Revolution. In Offenburg versammelten sich wiederholt die
liberal und demokratisch gesinnten Männer des badischen Landes. Und nach dem
Scheitern des Frankfurter Verfassungswerkes nahm der badische Maiaufstand
wiederum in Offenburg seinen Ausgang. Er brach unter den preußischen Bajonetten
zusammen. Es folgte ein Jahrzehnt der Reaktion, in dem alle nationalen und
freiheitlichen Bestrebungen mit Gewalt unterdrückt wurden. Aus dieser Zeit
stammt die zweite Urkunde. Sie entbehrt des sakralen Charakters, der ihrer Vorgängerin
eigen ist, und lautet:
Pro Memoria
Im Jahre 1852 im Anfang des Monats September wurde der Knopf des hiesigen
Pfarrkirchenturms heruntergenommen und in demselben beiliegende Urkunde
samt einer Kapsel mit Reliquien gefunden. Derselbe wurde vom hiesigen
Goldarbeiter Schaible im Feuer vergoldet und heute den 23. September des
genannten Jahres wieder an seine Stelle gebracht. Die geistlichen und weltlichen
Behörden der Stadt sind zur Zeit: Herr Johann Baptist Staedele, Stadtpfarrer,
Bezirksschulvisitator und Oberkirchenrat; Anton Stumpf, Stadtprediger und
Professor; Anton Stang, Stadtvikar; Oberamtmann Hermann von Faber; Oberamtmann
Klein; Amtmann Sauer; Amtsassessor Nicolai; Bürgermeister August
Wiedemer; die Gemeinderäte Kiefer, Huber, Pfähler, Walther, Stöckle, Heßel,
Schuhmacher, Bühler; die Stiftungsvorstände Oberkirchenrath Staedele, Bürgermeister
Wiedemer, Kiefer, Plank, Stockei, Gromer, Bühler, Borrho. Das Großherzogliche
Gymnasium besteht aus dem Direktor Karl Trotter, den Profes-
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