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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
42. Jahresband.1962
Seite: 3
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uns in der Scheinfassade reiner, geschichtsloser Gegenwärtigkeit, obgleich sie selbst
nur eine Konsequenz historischer Entwicklungen ist und aus der Naturwissenschaft
hervorging. So strebt unsere Zeit mehr und mehr zu einer absoluten Gegenwart,
in der die Grenzen von Vergangenheit und Zukunft zunehmend verblassen und
verschwinden. Das Tempo unseres Lebens fördert das Vergessen, unterbindet die
Kraft der Erinnerung, auf der sich geschichtliche Besinnung aufbaut.

Die „Abschirmung" vor der Geschichte, die sich als Konsequenz der Geschichtserfahrung
des 2. Weltkriegs ergab, könnte sich also unter den Händen der bedrängenden
und despotischen Gegenwart leicht in ein Übersehen, in einen Verzicht
auf das Geschichtlich-Vergangene verwandeln. Solche pessimistische Betrachtung
aber sähe nur die eine Seite des Geschichtsverhältnisses unserer Gegenwart. Auch
von der Oberfläche her gesehen gibt es eine andere Seite, die auf ein neues, positives
Geschichtsinteresse unserer Zeit hinweist. Das bezeugen allein schon die enorm
hohen Auflagen, die gewisse populärwissenschaftliche Bücher über Geschichte und
Vorgeschichte, teilweise sogar über die eigene Geschichte der Altertumswissenschaft,
in den letzten Jahren erzielt haben. Sogar die Vorkämpfer der modernen Kunst
wenden sich heute wieder mit Vorliebe historischen Kunstobjekten zu. In den
supermodernen Villen unserer Filmstars und Snobs werden antike Möbel heute
bevorzugt. Eine zur Moderne hin orientierte „Zeitschrift für das moderne Leben"
stellt ein dem Thema Geschichte gewidmetes Heft unter das Motto „Die Gegenwart
aller Zeiten", wobei Großfotos historischer Bauten und Dokumente geschwisterlich
neben den Bildern modernen Lebens stehen. Wie müht sich heute z. B. Nordamerika
, das bisher wohl dem Sog des Gegenwärtigen am meisten anheimgefallene
Land, verzweifelt um eine Verwurzelung in der Geschichte! In die weithin fast
geschichtslos zu nennende Landschaft erstellt man dort heute Klöster, denen unseres
Mittelalters mustergetreu nachgebildet. Nicht nur daß man alles Historische, so
unser Rothenburg ob der Tauber, als Kuriosum bestaunt, man ist sich durch den
Mangel an Geschichte allzusehr innerer Unsicherheit, Ungeborgenheit und Un-
fertigkeit bewußt.

Denn das unter der Suggestion unserer modernen Zivilisation vielfach begonnene
Experiment, nur aus der Gegenwart und nur für sie zu leben, kann nie und
nirgendwo bis zum Ende geführt werden. Die Geschichte selbst, die jeder Strömung
eine Gegenströmung folgen läßt, ist dafür Bürge. Wir sind in einer Umwandlung
des nur gegenwartsgerichteten Geschichtsverhältnisses begriffen. Mögen die wechselnden
Einflüsse und Verhältnisse das äußere Gehaben des Menschen auch noch so
verändern, nie kann er auf die Dauer seine inneren menschlichen Daseinsgesetze
verleugnen und über den Schatten seines Wesens springen. Zu seinem Menschenwesen
aber gehört die Geschichtlichkeit.

Für uns als Menschen hat das Vergangene nicht weniger Dasein als das Gegenwärtige
. Erinnerung adelt den Menschen, er wird erst Mensch in der Gemeinschaft
der Geschichte. Sollten wir einmal taub werden gegen die stumme Sprache der
Steine und der Zeugen des Menschentums der Vergangenheit, so wäre doch auch
wohl der Untergang unserer Kultur besiegelt. Denn im Lichte der Geschichte sehen
wir erst, wie wenig wir aus uns allein sind und vermögen.

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