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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
42. Jahresband.1962
Seite: 39
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märchenhaften Vogelnest ein symbolisches Gegenbild, denn dessen Besitzer ist imstande
, alle Masken des Lebens zu durchschauen. In der Art, wie später Lesage
seinen hinkenden Teufel (nach Guevara) in die verschlossensten Winkel Einblick
nehmen läßt, vermag der getarnte Erzähler des ersten Teiles (1672) die Vorsehung
zu spielen, indem er Schuldige bestraft, Unrecht verhindert und Gutes belohnt.
Im zweiten Teil des Romans (1675) aber zeigt sich, wie gefährlich der Mißbrauch
der Geheimkraft werden kann, denn der nächste Besitzer wird dadurch zum Ehebrecher
und Jungfern Verführer; er spielt die Rolle des Propheten Elias in der
Heimsuchung eines jüdischen Mädchens von Amsterdam, das den Messias gebären
will, und er zieht aus Übermut und Beutegier in den holländisch-französischen
Krieg. Dort ereilt ihn eine Kugel, und im Lazarett wird er von dem frommen
Beichtvater überzeugt, daß alle seine Künste nur Werke des Teufels gewesen seien.
Das Vogelnest wird von der Kehler Rheinbrücke aus in die Flut gestreut, und
damit hat der Simplicianische Reigen für den Dichter sein Ende gefunden.

Ist der zweite Teil des „Vogelnests" ein Novellenkranz, der an italienische Vorbilder
erinnert und schon in die bürgerliche Welt hinüberleitet, so ist das „Rath-
stübel Plutonis" (1672) ein Zyklus von Anekdoten, den die am Sauerbrunnen
versammelten simplicianischen Hauptgestalten als Unterhaltungsstoff vermitteln.
Simplicissimus selbst ist alt geworden und tritt weiterhin nur noch als episodische
Figur und als Erzieher seines Sohnes hervor. Sein Name dient kleinen Schriften,
die mit der Kalendermacherei zusammenhängen, als Aushängeschild. Dazu gehört
das Gesellschaftsspiel der „Wunderlichen Gauckeltasche", die mit dem Volksmärchen
vom „Ersten Bärnhäuter" (1670) zusammengedruckt ist, ferner die „Verkehrte
Welt" (1672), die an volkstümliche Bilderbogen anknüpfend sich wieder der Satire
Moscheroschs nähert, und das „Galgen-Männlin" (1673), das zum letztenmal auf
einen der im zweiten Teil des Vogelnests verabschiedeten Fetische des Aberglaubens
zurückgreift.

Realistisches Neuland gewinnt die vom simplicianischen Kreis losgelöste Erzählung
„Der stoltze Melcher" (1672), die nach der Zeit ihrer Handlung mit dem
Schluß des „Vogelnests" zusammenfällt und eindringlicher als dort das Elend des
Dienstes in fremdem Solde am Beispiel eines Fremdenlegionärs, eines abgerissen
aus französischem Kriegsdienst heimkehrenden Bauernburschen zur Anschauung
bringt. In gleicher vaterländischer Gesinnung, die im Erlebnis der Selbstzer-
fleischung des deutschen Volkes groß geworden ist, wendet Grimmelshausen sich
gegen die Verfremdung der deutschen Sprache, in der doch die Einheit des zerrissenen
Reiches begründet war. „Deß Weltberuffenen Simplicissimi Pralerey und
Gepräng mit seinem Teutschen Michel" (1673) heißt sein Beitrag zur deutschen
Sprachbewegung, worin er unter Rechtfertigung seines eigenen Stiles zum Angriff
übergeht gegen alle Arten sprachlicher Teutschverderber, auch gegen närrische Neuschöpfer
, und mit dem Grundsatz schließt: „Gegenwärtiger Zeit Wörter mag man
sich wol gebrauchen; man soll aber der Alten Sitten, vornemblich aber ihrer
Standhafftigkeit und Tugend nachfolgen."

Die einzige ausgesprochen politische Schrift, der „Zweenköpffigte Ratio Status"
(1670), ist ein Anfang geblieben, der wieder, wie im satirischen Erstlingswerk,

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