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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
42. Jahresband.1962
Seite: 201
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Häuflein Schafe hatten sie sich fest zusammengestellt, als ein halb nackender Greis
mit Zittern gegen sie hinschwankte. Sie kannten ihn nicht, den durch das Elend
Entstellten. „Kinder! Gebt mir einen Bissen Brot, ich habe seit mehreren Tagen
nichts gegessen", sprach mit tränenfeuchtem Auge der bettelnde Greis. „Gott! Es
ist unser Herr Superintendent!" rief mit einem Schrei des Entsetzens der ganze
Haufe. Er war es. Schrecklich mißhandelt hatte der würdige Superintendent
Venator ohne Nahrung in steter Todesangst sich verborgen; der Hunger trieb ihn
in das Freie; und Gottes Hand führte ihn zu seinen ihn liebenden Beichtkindern,
die ihn mit dem Brot labten, das ihre Tränen genetzt hatte. Es ist genug!

Nun, da einmal die Szene des fünfundzwanzigjährigen Kriegs durch diesen
ersten greulichen Akt bei uns eröffnet war, gab es für uns keinen Stillstand, keine
Ruhe mehr. Das nahe liegende verbrannte Kehl wurde zur Festung, und dieses
verdoppelte unsere Last. Denn weil dieser Ort von seinen Einwohnern verlassen
war, mußten wir bei übergroßer Einquartierung auch noch Obdach und Nahrung
der für Kehl bestimmten Besatzung geben. Aus dem nämlichen Grunde machten
nicht einmal die von Zeit zu Zeit abgeschlossenen Friedensschlüsse oder Waffenstillstände
— denn das waren sie im Grunde —, die doch sonst unserm Vaterland
Zeit zum Ausschnaufen verschafften, einen merklichen Unterschied in unserer Not.
Wir waren in Ertragung ungeheurer Lasten stets die Stellvertreter von Kehl und
sehr oft vom gesamten Vaterland.

Ober- und Untergeneräle, oft zu zehn und zwanzig mit ihren Hauptquartieren,
angezogen durch die Lage unseres Orts und mehrere geräumig schöne Wohnungen;
Kriegskommissäre und Magazin Verwaltungen mit ihrem Troß; Offiziere zu
Hunderten und gemeine Soldaten zu Tausenden; zu gleicher Zeit Generals- und
Offizierstafeln auf Kosten der Gemeinde in Wirtshäusern und auf unsere eigenen
in Privathäusern — dieses alles hatten wir im Überfluß. Zu diesen ungeheuren,
unsere Kräfte übersteigenden und zur Verzweiflung führenden Lasten kamen noch
immer wiederkehrende, alles verschlingende Lieferungen; unaufhörliche, Menschen
und Vieh dahinraffende Fronden; gänzliche Verwüstungen unserer schönen Waldungen
; nicht selten Vernichtung unseres Erntesegens durch Lager, Treffen und
kleinere Gefechte. Die langwierige, mitten im Winter unternommene Belagerung
der Feste Kehl unter Erzherzog Karl verwandelte unsere Not durch die unglaublichen
neuen, auf uns gewälzten Lasten zum höchsten Elend. Das Vieh raffte eine
Seuche dahin, und eine ansteckende Krankheit erlöste eine große Anzahl unserer
unglücklichen Bürger von ihrem Jammer. Man weinte nicht an ihren Gräbern; die
Hinterbliebenen priesen sie glücklich.

Nach des unersättlichen Eroberers tiefem Fall und der Besetzung des Rheingebietes
durch die verbündeten Truppen war das unglückliche Kork abermals nach
seiner Lage der Zentralpunkt aller Lasten, welche durch die Blockade von Kehl
durch Österreicher, Russen, Bayern und Badener auf die hiesige Gegend gewälzt
wurden. Das fürchterliche Wort „Lokallast" blieb die traurige Antwort auf unsere
Bitten und Klagen.

Von einem Lande wie Baden, das für die allgemeine große Sache große Opfer

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