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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
42. Jahresband.1962
Seite: 203
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fanden sich hierbei auch einzelne Menschen, welche in ihrem Vorurteil behaupteten
, daß gerade in diesem Jahr der Trübsal jede Notarbeit am Sonntag unterbleiben
sollte; allein der größte Teil hatte richtigere Begriffe von der Vorsehung
und fand in dieser sonderbaren Erscheinung selbst einen lehrreichen Wink für das
Gewissen der Menschen. Wer nämlich in glücklichen Jahren durch Üppigkeit und
Unsittlichkeit des Herrn Tage entweiht hatte, mußte in seinem Innern ergriffen
werden, wenn er jetzt statt zu ruhen und Gottes freundliches Wort zu hören,
streng arbeiten mußte, um nur nicht zu hungern. Überhaupt machte diese traurige
Zeit auf sehr viele Gemüter, die durch den Krieg verwildert und durch die Leichtigkeit
, mit welcher sie in früheren glücklichen Zeiten ihr Brot erwerben konnten,
leichtsinnig und übermütig geworden waren, einen tiefen segensvollen, jetzt noch
fortwirkenden Eindruck. Der große Erzieher der Menschen schien in düstern
Wolken sein Angesicht gänzlich verborgen zu haben, sein ernster Wille und seine
väterlichen Winke brachen aber selbst durch die dicksten Wolken und wurden verstanden
von vielen Menschen, die früher mit sehenden Augen nicht sahen und mit
hörenden Ohren nicht hörten.

„Wenn ich Grundbirnen essen will, brauche ich nicht zu dienen und zu taglöhnen
", hörte man früher so viele aus der ärmeren Volksklasse sprechen, die in
ihrem Übermut nicht mehr wußten, was sie bei nachlässiger Arbeit an Speise,
Trank und Lohn fordern sollten und selbst mit der Nahrung, die auch ihre Herrschaft
genoß, nicht mehr zufrieden waren. Als sie aber in der Hungerzeit vergebens
nach Arbeit suchten und nur noch die früher vernünftigen und bescheidenen
Armen Verdienst erhielten, als auf so vielen Tischen kein Brot mehr zu sehen
war, als die unerhört teuern Kartoffeln neben dem ungeschmälzten und ungesalzenen
Gemüse von Unkraut als Leckerbissen aufgestellt wurden und der Vater
im Kampf mit seinem eigenen Hunger und seiner Vaterliebe diese Gottesgabe,
erwägend die Zahl und die Größe jeder einzelnen Frucht, unter die Familienglieder
aufteilte und die selbst hungernde Mutter von ihrem Anteil zurückgab, damit ihr
Liebling eine mehr erhalten möchte: da schlugen manche, wie nach dem Evangelium
der verlorene Sohn in seinem Elend, in sich, und der Eindruck jener Zeit
wird auch auf die kommenden Geschlechter zum Segen fortwirken. Ja, ich bin
überzeugt, daß wenigstens jene 200 Kinder, die am Trübsalsfest in unserer Kirche
unter dem lauten Weinen und Schluchzen der ganzen Gemeinde Gott auf den
Knien um endliches Erbarmen anflehten, nur an jenen Tag denken dürfen, um
jede Versuchung zum Undank, Ubermut und Üppigkeit standhaft von sich zu
weisen. Daher wird auch dieses geschrieben auf die Nachkommen. Diese können
sich die Größe der Not, der Angst und der Verzweiflung in den Tagen der
härtesten Prüfung nicht lebhaft genug denken. Die meisten Menschen wurden so
abgezehrt und entstellt, daß wenn gute Bekannte sich etliche Wochen nicht gesehen
hatten, sie sich beim Zusammentreffen kaum mehr erkennen konnten. Nicht nur
die Gegenwart, auch noch die Zukunft ängstigte die armen Menschen und, wie es
in der Natur des Menschen liegt, seine Überlegung; so nahmen es viele als eine
ausgemachte Sache an, daß auf den Hunger die Pest als eine Folge des Mangels

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