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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
43. Jahresband.1963
Seite: 227
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Kaiser Maximilian hatte Erlasse herausgegeben, um eine allgemeine Bekämpfung
der bis dahin völlig unbekannten, rätselhaften und in schlimmsten Formen auftretenden
Krankheit zu veranlassen. Es ist klar, daß unter den auf dem Reichstag
anwesenden Medizinern dies Thema zum Tagesgespräch wurde. Keinen aber
scheint das medizinische und therapeutische Problem stärker gepackt zu haben als
den Tübinger Professor der Medizin Dr. Johannes Widmann.

Der Ablauf der Jahre, in denen die Syphilis ihren furchtbaren tödlichen Weg
durch Europa nahm, ist von erschütternder zeitlicher Gedrängtheit: fast unvorstellbar
in einer Zeit, die noch keine raschen Verkehrsmittel von Land zu Land
kannte, in einer Zeit, in der man zu Fuß, zu Roß, mit dem Wagen, auf schlechten
Straßen und mühsamen Pfaden nur langsam vorwärts kam. Zugleich gibt dieser
peinliche Siegeszug einer furchtbaren Göttin ein seltsames Bild von den sittlichen
Verhältnissen im damaligen Abendland: und wer in solchen Dingen gern etwas
Symbolhaftes sehen möchte, könnte von einer Rache des unbekannten, eben entdeckten
Amerika an den europäischen Eroberern sprechen. Das besonders Erschreckende
aber war, daß sich diese Krankheit so rasch und massenhaft ausbreitete
, daß sie den Charakter einer Seuche, wie Pest oder Aussatz, aufwies —
und eben dies mußte wiederum das besondere Interesse bei Widmann erwecken.

Kurz: im Jahre 1493 war Kolumbus aus Amerika zurückgekehrt. In seinem
Gefolge befanden sich einige, die von der neuen Krankheit dort angesteckt
worden waren. Rasch verbreitete sich die Lues über das südliche Europa, wenn auch
zunächst nur in Einzelfällen. Zur Epidemie wurde die Syphilis im Zusammenhang
mit der Belagerung Neapels durch Karl VIII. von Frankreich. In der süditalienischen
Hafenstadt war die Krankheit schon eingebrochen. Bald wütete sie unter den
Söldnern des französischen Königs. Und so erhielt die Syphilis ihren ersten Namen:
mal de franzos, die französische Krankheit. „Die Landtknecht haben die mala
Frantzoss ins teutsche Land bracht", berichtet Valentin Müntzer. 1496 war sie
schon in Straßburg verbreitet.

Die Ärzte standen der neuen Krankheit ratlos gegenüber. Sie war mit einer
solchen Schnelligkeit vom Süden nach dem Norden gewandert, daß nach den
selbstverständlichen Auffassungen jener Zeit man eine Erklärung für das Auftreten
der neuen Seuche nur als Strafe Gottes für die überhandnehmenden Ehebrüche
und Gotteslästerungen und nicht zuletzt in astrologischen Ursachen finden
konnte: schuld war die verhängnisvolle Konjugation des Saturn und Jupiter am
27. November 1484. Denn noch waren Schicksal der Menschen, ihre Gesundheit
und ihre Krankheiten zumal, Wirkungen bestimmter Konstellationen der Gestirne
. Noch Paracelsus stützte seine Diagnosen und seine Therapie durch Horoskope
. Von den Planeten und ihren Kräften in Beziehung auf Krankheiten zu
sprechen, war damals ebenso selbstverständlich, wie wenn heute von Antibiotica,
Viren, Hormonen oder Vitaminen die Rede ist.

Nun, auf dem Reichstag von Worms scheint Widmann die ersten Anregungen
erhalten zu haben, sich mit der Problematik der neuen Krankheit zu beschäftigen.
Auf jeden Fall begab er sich, nach Tübingen zurückgekehrt, sofort an die Arbeit.
Schon zwei Jahre später, 1497, veröffentlichte er seinen „Tractatus de pustulis

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