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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
51. Jahresband.1971
Seite: 93
(PDF, 52 MB)
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kann. Ein Theologe wird eine andere Perspektive haben als ein Kunsthistoriker
oder ein Psychologe. Der auch in unserer Zeit in seinem Innersten noch gläubige
Mensch wird einen anderen Kontakt bekommen als der (alles besser) wissende
Mensch. Vor allem dürfen wir nicht vergessen, daß bei all unseren Betrachtungen
das ästhetische Sehen dominant ist, d. h. der Mensch unserer Zeit kommt vor allem
über die Form an die seltsamen, unserem Verstand nicht ohne weiteres zugänglichen
Bildwerke der Romanik heran. Dem mittelalterlichen Menschen aber erschloß
sich eine Skulptur zunächst von ihrem Inhalt her; für ihn war das Kunstwerk
weniger schön oder häßlich als vielmehr eine Offenbarung des Guten oder
Bösen.

Bei heutigen Betrachtern sind zwei grundverschiedene Auffassungen zu unterscheiden
. Die einen erblicken in den romanischen Tiergestalten, soweit sie nicht in biblische
oder hagiographische Szenen eingebaut sind, lediglich Produkte der Dekorationslust
oder einer überquellenden Phantasie. Selbst ein Kunsthistoriker vom
Format Dehios hatte kein Gespür für die Bedeutungstiefe der romanischen Plastik
des oberdeutschen Raumes, deren Schöpfungen für ihn „Spiele eines phantastischen
Humors" sind; „sorglos und spielerisch strömt diese Zierlust leicht dahin"10. So
wurden auch die beiden Drachen des Freudenstadter Taufsteins von Pudelko als
wappenartig ornamentalisierte Untiere erklärt, denen jeder tiefere Sinn fehlen.
Andere wiederum versuchen die einzelnen Tiere in ein symbolisches Bezugssystem
einzubauen, was im Extrem bis zur „Zoologie composite" geführt wurde, nach der
jedem einzelnen Glied eines Fabeltieres eine durch Größe und Gestalt abwandelbare
Grundbedeutung zukomme. Daß die Fauna der romanischen Kunst nur ein
Spiel der Phantasie oder des dekorativen Zufalls sein soll - und das an den
Brennpunkten des christlichen Gotteshauses wie Portal und Taufstein - wird heute
nach Erschütterung der rein positivistischen Betrachtungsweise kaum noch zu vertreten
sein, zumal gerade durch die erst in den letzten Jahren richtig erkannte
Beziehung der romanischen Kunst zur zeitgenössischen Literatur manche Unklarheit
über Herkunft und Bedeutung einzelner Bildgestaltungen aufgehellt werden
konnte12.

Der Blick des romanischen Menschen war durch die Oberfläche der Erscheinung
hindurch auf das Jenseitige, Unsichtbare gerichtet, seine Kunst war daher weniger
Abbild als Sinnbild. Zur Hinter-Gründigkeit des Seins gehört auch all das Gefährliche
und Unheimliche wie Naturkatastrophe, Krankheit und Tod. Diese von
der menschlichen Vernunft nicht durchdrungene und nicht beherrschte Welt fand
ihren Ausdruck in dem Bild der Drachen und anderer Monstren. Dabei wollten
die romanischen Künstler keine Rätselbilder schaffen, auch keine esoterischen
Lehren in einer geheimen Bildersprache festhalten; der Gläubige konnte die Bilder
„lesen" und wußte um ihre über-natürliche Aussagekraft und um ihren Symbolgehalt
, den spätere Generationen nicht mehr verstanden oder mißverstanden.

10 Georg Dehio: Geschichte der deutschen Kunst. Bd. 1. Berlin und Leipzig 1930, S. 181.

11 G. Pudelko: Romanische Taufsteine. Berlin 1932, S. 131, 132.

12 Man vgl. ganz allgemein F. P. Pickering: Literatur und darstellende Kunst im Mittelalter. Berlin 1966;
im besonderen Herbert Schade: Die Tiere in der mittelalterlichen Kunst (= Studium Generale 20/1967,
S. 220 ff.).

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