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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1972/0048
Marien klage

Von Johannes Werner

Das Kunstwerk, von dem die Rede sein soll, befindet sich seit langem, wenig
beachtet, in der Stadtkirche St. Alexander zu Rastatt. Selbst nachdem man es
aus seinem Winkel holte (freilich in einen nicht stilgemäßen Raum) und ihm die
entstellenden Übermalungen nahm, ist es kaum bekannter geworden; so steht auch
das Urteil des Kunsthistorikers noch aus. Dabei handelt es sich um eine sehr
schöne, zugleich aber typische Darstellung, was der Anlaß sein soll, diesen
Gegenstand in größerem Rahmen zu betrachten.

Die künstlerische Gattung des Andachtsbildes, der es zugehört, entstand Anfang
des 14. Jahrhunderts und kennt hauptsächlich drei Motive: die Christus-Johannes-
Gruppe, das ist der Heiland, an dessen Brust sein Lieblingsjünger in sanfter
Umarmung ruht; der Schmerzensmann oder Erbärmdechristus als der leidende
Erlöser; und hier schließlich die Marienklage, auch Vesperbild oder Pieta genannt.
Wie jene aus dem Abendmahl bzw. dem Leidensweg, so ist auch diese aus einer
historischen Komposition, nämlich der Beweinung, ausgegliedert worden; allesamt
gehören sie, eins nach dem andern, in den chronologischen Zusammenhang
der Passion. Es sind jeweils vereinzelte und vergrößerte Ausschnitte, die, vom
Moment des liebenden Gefühls bestimmt, dieses konzentriert gestalten und wirksam
zur Anschauung bringen.

Das Bild Mariens: als Mittlerin und Mit-Mensch war sie ohnehin die Zentralfigur
hoch- und spätmittelalterlicher Frömmigkeit; daß man sie nun mit dem
Leichnam ihres Sohnes darstellte, hieß nicht nur, den Archetyp der Totenklage
auf christliche Weise neuzugestalten, sondern auch, zur herkömmlichen Gottesmutter
mit dem Jesusknaben ein ergreifendes Gegenstück zu scharfen. Denn mit
der Rückkehr des Sohnes in ihren Schoß (welch eine Rückkehr!) hat ein Kreis
sich geschlossen, dem erst von der Auferstehung her ein Sinn sollte verliehen
werden.

Somit wirkte theologische Spekulation auch auf diesen Zweig der mittelalterlichen
Ikonographie, jedoch in mehrfacher Hinsicht. Da ist zunächst eine starke
mystische Komponente; das liebevolle, andächtige Sich-Versenken in die Bilder
des Heilsgeschehens hielt sich an solche Kunst und verlangte nach ihr. In den
oberrheinischen Klöstern, zumal um Straßburg und Colmar, blühte und wirkte
die religiöse Bewegung, strahlte von ihnen aus. Einer ihrer hervorragenden Vertreter
, der Konstanzer Dominikaner Heinrich Seuse, schrieb in seinem „Büchlein

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