Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1972/0217
wie in allen Ländern des westlichen Deutschland, mit großer Freude begrüßt." M In dieser
gespannten politischen Atmosphäre des Aufruhrs in Lichtenau, Willstätt und Rheinbischofsheim
ist die Sprache des „Oberrheinischen Hinkenden Boten" alles andere als revolutionär
. Als er am 22. August 1789 darüber berichtet, daß fast die ganze Ortenau in Aufruhr
sei, schließt die Meldung mit dem Wunsch, der Geist des Ungehorsams und der Unordnung
möge ferne „von unseren guten deutschen Provinzen" bleiben. Und am 8. September
gibt das Blatt Pfarrer Neßler von Lichtenau dazu das Wort, der gegen den
„tumultarischen Schwindelgeist" zu Felde zieht, welcher sich einiger schwacher Köpfe
bemächtigt habe, wenngleich er einleitend feststellt, „daß die epidemische Mißlaune der
niederen Volksklasse sich auch bei uns eingeschlichen" habe, was ohnehin bekannt sei.
Auch der Pfarrer Gottfried Jakob Schaller von Pfaffenhofen scheint guten Kontakt zum
„Hinkenden Boten" zu pflegen, der seine am 26. Juli 1789 gehaltene Predigt „Gegen den
bürgerlichen Aufruhr in einem Staat" und auch dessen Gedichtsammlung anbietet.
Am 18. September teilt der verurteilte Müller mit, daß er die Strafe annehme und nach
Karlsruhe komme; seit zwei Monaten habe er einen bösen Fuß. Am 30. September rücken
die Exekutionstruppen in die Ämter ein, und die Lage verschärft sich auch für Müller aufgrund
eines privaten Schreibens des Geh. Legationsrates von Rochebrune in Kehl an den
Geh. Rat von Edelsheim, in dem er eine strengere Zensur für „Ma Correspondance" fordert
. Rochebrune wandte sich gegen den Druck des „Tableau de la municipalite de Schlett-
stadt", das bei Müller in Kehl gedruckt worden war. De la Hogue wird auch tatsächlich
aufgefordert, während seiner Abwesenheit einen Vertreter mit der Zensur zu beauftragen
.

Vom „Oberrheinischen Hinkenden Bothen" zum „Politisch-Litterarischen Kurier"

Die Entwicklung des Zeitungswesens in Frankreich, wo seit Juli die Zeitungen wie Pilze
aus dem Boden schießen66, sdiafft für Müller ernsthafte Probleme, dabei konnte er mit
der Entwicklung seiner deutschen Zeitung durchaus zufrieden sein. Als er im Februar 1786
zur Pränumeration Beckers „Not- und Hilfsbüchlein für den Landmann" empfiehlt, kann
er später berichten, daß sich über 50 Liebhaber gemeldet hätten. Allerdings war das Büchlein
ein wirkliches literarisches und buchhändlerisches Ereignis und wurde mit einem
Schlage eines der populärsten Bücher Deutschlands. Im Jahre des Erscheinens — 1788 —
wurden 30 000 Exemplare verkauft67. Offenbar konnte der Bote auch Landwirte zu
seinen Lesern zählen, und sicherlich wurde er in Kehl und im Hanauerland bezogen, denn
wir finden beispielsweise Zuschriften des bereits erwähnten Pfarrers Neßler von Lichtenau,
der mit Lesern in der Gemeinde und der Umgebung rechnet, und zunehmend Anzeigen,
die auch auf regionale Verbreitung schließen lassen68. Müller selbst äußert sich in der
Ausgabe vom 12. Juli 1788 einmal, daß sein Blatt das Glück habe, mehrere hundert
Leser zu haben, die demselben Beifall zollten. Uns liegt aber auch das Zeugnis von Ehrmann69
vor, der als Zeitgenosse vom guten Fortgang der Druckerei berichtet und dann
urteilt: „Er ist zu Macklots größtem Verdruß Markgräfl. Badenscher Hof- und Kanzlei-

65 Johannes Beinert, Geschichte des badischen Hanauerlandes unter Berücksichtigung Kehls, Kehl 1909,
S. 306.

66 1 789 fand in Frankreich eine Zeitungsexplosion statt, wie man sie noch nie erlebt hatte; es ist das Geburtsjahr
der modernen französischen Presse, was nicht ohne Einfluß auf Müller bleiben konnte
(Eugene Hatin, Bibliographie historique et critique de la Presse periodique francaise, Paris 1866,
S. XCVII).

67 1789 erschien der zweite Band, nachdem vom ersten 150000 Exemplare verkauft waren. 1811 schrieb
Becker, daß eine Million Expl. gedruckt worden seien. Es wurde „in jedem deutschen Bauernhausstand
als unentbehrlicher Hausschatz betrachtet" (Hermann Hettner, Geschichte der deutschen Literatur im
achtzehnten Jahrhundert, Leipzig 1928, S. 200).

68 So bietet 1789 Johann Caspar Fuß das Gasthaus „zur Rose" in Neu-Freistett, Friedrich Seha.it in Kehl
das Gasthaus „zur Blume" oder die Witwe Ettlinger in Kehl mehrmals den „Rebstock" zum Verkauf an.

6» Ehrmann, S. 93. Molz, S. 45 f.

215


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1972/0217