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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1972/0220
er sie nicht zur Zensur nach Karlsruhe schicken, andererseits drohten ihm Beschlagnahme
und Strafe. Und in Karlsruhe wird man sich wohl daran erinnert haben, daß man ihm im
vorigen Jahr 160 Exemplare beschlagnahmt hatte; solche Verluste waren für den kapitalschwachen
Verlag kaum tragbar. Müller hielt dem Markgrafen vor, daß man Tatsachen
nicht unterdrücken könne, doch habe er kritische Dinge stets mit Vorsicht und mit Bescheidenheit
erzählt. Eine Zeitung könne aber nur von der Neuheit der Meldungen leben.
Er schildert die Schwierigkeit des Journalisten, der wegen des späten Eingangs der Nachrichten
abends kaum das Manuskript bewältigen könne, welches am anderen Morgen
gedruckt werden solle. Wie sollte da der Zensor noch in der Nacht zur Verfügung stehen
und wie sollte er die Neuigkeiten seinen Lesern brühwarm bringen, wenn jede Nummer
vorher nach Karlsruhe geschickt werden müsse? Und die Räte in Karlsruhe werden
zweifellos Herz genug gehabt haben, um mitzufühlen, daß er tatsächlich die Früchte
seines siebenjährigen Fleißes, seiner vielen Nachtwachen mit dem Verkauf seiner Zeitungen
preisgab. Er schickt seine Privilegien zurück und erklärt dem Markgrafen: „Ich hin
zu diesem Schritt gezwungen, da die jetzigen Zeitläufte allzu kritisch sind, um nicht, hei
aller Vorsicht, auf facta zu stoßen, welche öffentlich zu sagen Ew. Hochfürstl. Durchlaucht
mißfällig sein könnten!" Müller sah die Hauptschwierigkeit darin, daß in Kehl keine
einsichtsvollen Zensoren waren, die in dieser Zeit der Revolutionswehen in Frankreich einfach
notwendig gewesen wären. Sein Hauptabsatz ging aber nach Frankreich und in die
Schweiz, „wo man freie Schreibart liebt"! Nach seinen Angaben setzte er keine hundert
seines deutschen Kuriers und keine sechzig seines französischen in Deutschland ab. Bei
irgendeiner Einschränkung oder Unterdrückung eines factums würde sein Blatt verloren
haben. Da man nicht wisse, welche unruhigen Zeiten noch bevorstünden, so hoffe er, mit
dem Verkauf klug gehandelt zu haben, denn er sei den Abonnenten schuldig, das zu
liefern, was sie im voraus bezahlt hätten.

Wie alle Geister seiner Zeit, die von den Ideen der Aufklärung durchdrungen waren,
wird auch Müller die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte begeistert begrüßt haben,
die am 26. August 1789 von der Nationalversammlung verabschiedet wurde. Nun war
ihm die darin garantierte Pressefreiheit zum Verhängnis geworden; ohne Freiheit im eigenen
Lande konnte er mit der französischen Konkurrenz nicht Schritt halten, war der schon
begonnene Sprung zur modernen Zeitung nicht zu bewältigen. Kehl hatte für Müller
seinen Standortvorteil verloren und die Stadt verlor an ihm einen Unternehmer, der von
sich sagen konnte: „Ich habe immer fremdes Geld ins Ort gezogen und mir und andern
Nahrung verschafft!"

Die Beziehungen zu Johann Georg Treuttel

Wir hatten schon gehört, daß Treuttel in den siebziger Jahren Straßburg buchhändlerisch
beherrschte. Als Buchhändler huldigte er liberalen Ideen, und er begrüßte die Große Revolution
, die das wohlhabende Bürgertum begünstigte. Nachdem Therese Forster ihren
Mann in Mainz nach der Rückeroberung Frankfurts durch die Alliierten in der ersten
Dezemberwoche des Jahres 1792 verließ, nahm sie mit ihren Kindern vorübergehend Aufenthalt
bei Treuttel in Straßburg, „dessen Tochter schon als Göttin der Freiheit in einem
öffentlichen Umzüge aufgetreten war" 71. Weniger begeistert war er von den Jacobinern,
die ihm eine Zwangsanleihe von 100 000 Livres auferlegten72, von denen er 46 600 Livres
bezahlte. Die Summen lassen erkennen, daß ihm der Kauf der Müllerschen Zeitungen
keine Schwierigkeit bereitete; im übrigen schon deshalb nicht, weil sie ihm praktisch
schon längst gehörten. Sein beträchtliches Handelskapital suchte eine gewinnbringende
Anlage, und das sich so sichtbar ausweitende Unternehmen von Müller schien das richtige

71 Ernst Baumann, S. 70. Georg Forster (1754—1794) nahm als Begleiter seines Vaters Johann Reinhold
an der zweiten Weltumsegelung Kapitän Cooks (1722—1775) teil. 1793 Vizepräsident des rheinischdeutschen
Nationalkonvents.

72 Erich Hartmann, S. 36.

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