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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1972/0232
Nach dem impulsiven Brief Wielands vom 19. Juni und der Antwort Jacobis vom
10. August 1772 wendet sich Wieland am 14. September überraschend an Reich:121

„Und nun, mein Freund, machen Sie sich auf eine feine Probe gefaßt. Was Sie selbst vorherzusehen
geschienen haben, was mir mein Herze schon lange vorher gesagt hat, ist endlich in Erfüllung gegangen.
Mein Freund Jacobi hat mich durch sein allzugroßes Feuer, Mangel an Kenntnis des Büchercommercii u. a. U.
in der Enterprise mit dem Agathon, die er völlig auf sich genommen hatte, so irre geführt, daß er, nacn
einer Menge von verfehlten demarchs, endlich selbst anfängt gewahr zu werden, daß er mir nicht wieder
aus dem Labyrinth heraushelfen kann, in welches er mich verwickelt hat. Bärstecher, mit dem er ohne
mein Vorwissen und wider meinen ausdrücklichen Willen (indem ich wollte, daß er vor allen Dingen
sich an Sie wenden sollte) sich in einen Contract einlies, zeigt sich endlich in seiner wahren Gestalt. Er
versprach goldne Berge und hält nun nichts. Mich blendeten seine Verheißungen nie; ich sagte Jacobi'n oft
vorher, wie es gehen würde; aber ich hatte die Sache einmal in die Hände dieses zwar sehr für mich eingenommenen
aber allzuhitzig zu Werke gehenden Freundes gestellt, und ich mußte ihn machen lassen.
Doch nunmehr, da die Noth an den Mann geht, da Bärstecher Schlechtes Betragen sich zu Tag gelegt hat,
da Jacobi sich nicht mehr zu helfen weiß und nun selbst reumüthig bejammert, daß er sich verleiten ließ
von Jhnen abzugehen und mir vor lauter Begierde, mir große Vortheile zuzuwenden, den empfindlichsten
Schaden zu thun. Nun sehe ich mich gezwungen, die Sache aus seinen Händen zu nehmen und mich selbst
unmittelbar an die Spitze zu stellen. Agathon muß einen Verleger haben. Die Hn. Orell und Comp, habe
ich abgekauft und sie haben mir mein Eigenthums-Recht an diesem Werk auf ewig zurückgegeben. Da ich
nun gegenwärtig mich von Bärstechern und Hn. Jacobi selbst völlig freygemacht habe, so halte ich es für
nieine erste Pflicht, Sie Werther Freund, vor allen andern zu fragen, ob Sie zu diesem Verlag Lust haben
und ob sie sich zu denjenigen Bedingungen verstehen wollen und können, welche mich in den Stand
setzen, mein Engagement gegen meine Prenumeranten und Subscribenten, deren in allem höchstens 7—800
seyn dürften, sobald als immer möglich zu erfüllen."

Was Wieland vier Wochen nach der Antwort Jacobis an Reich schreibt, ist durchsichtig
und überdies keinesfalls erstaunlich, wenn man die „Wandelbarkeit des Dichters" gegenüber
seinen Verlegern kennt. Seine abfälligen Bemerkungen dürften aber mit dazu beigetragen
haben, daß Bärstecher in der Literaturgeschichte, soweit sie sich überhaupt mit
ihm betaßt — und das dürfte eingehender nur bei Bensei der Fall sein —, nicht unbedingt
mit der notwendigen Objektivität behandelt wurde. Bensei122 kennt die Angelegenheit
und vermerkt dazu: „Trotzdem kam das Unternehmen nicht zustande, angeblich,
weil sich Beerstecher als Schwindler entpuppte." Auch wenn er hinzufügt: „Ob diese
Beschuldigung zu Recht besteht, muß dahingestellt bleiben", wird das Urteil eines berühmten
Schriftstellers zwangsläufig zumindest im Unterbewußtsein nachwirken. Verschiedene
Bemerkungen Benseis lassen jedenfalls darauf schließen. Was wirklich vorgefallen
war, ist anscheinend nicht belegt. Immerhin kennen wir den Vertragsentwurf
Wielands mit seinen hohen Forderungen, und Borcherdt stellte 1921 folgende Überlegung
dazu an: „Die erstaunliche Zahl von Freiexemplaren erklärt sich daraus, daß trotz des
Verlages die Subskription des Autors aufrecht erhalten wurde. Zum Vergleich sei ferner
bemerkt, daß z. B. ein kräftiges Reitpferd im Jahre 1773 sechs bis acht Louisdor kostete;
nimmt man den heutigen Preis mit 10 000 Mark an, so würde die Honorarforderung
Wielands dem gegenwärtigen Werte unseres Geldes entsprechend eine Viertelmillion Mark
betragen!" Und das für eine Bearbeitung, von der Heraeus sagt: „In der Tat erscheint
die Neuauflage des ,Agathon' vom Jahre 1773 als eine mehr stilistische, denn als innere
Umarbeitung. Letzteres war erst der Auflage von 1794 vorbehalten."123 Den Wechsel
seines Verlegers begründete Wieland auch sonst nicht sehr zimperlich; so schreibt er am
19. Oktober 1772 an den Theologen und Prinzenerzieher Hof rat Ring in Karlsruhe, dem
er von seinem Vertrag mit Reich berichtet: „denn mit Bärstechern mußte ich abbinden,
weil er ein Schurke war" 124.

121 Karl Buchner, S. 56 f. Wenn hier von dem Grundsatz abgegangen wird, eine „überflüssige Ausbreitung
des längst Bekannten und Erwiesenen" zu vermeiden. (Reinhard Wittram, Das Interesse an der Geschichte
, Göttingen 1958, S. 21), so deshalb, weil dem Leser ein abgerundetes Bild von der literaturgeschichtlich
interessanten Beziehung zwischen Wieland und Bärstecher geboten werden soll.

122 Bensei, S. 101.

123 Heraeus, S. 31.

124 Heinrich Funck, Beiträge zur Wieland-Biographie, Freiburg i. Br. und Tübingen 1882, S. 30 f.

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