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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
53. Jahresband.1973
Seite: 98
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Zur Marienklage

Aus einer Handschrift des 15. Jahrhunderts

Von Johannes Werner

Die „Rastatter Pietä" (wenn ein solches der Kunstgeschichtsschreibung vorgreifendes Etikett
erlaubt ist) wurde unlängst an diesem Ort zum Anlaß eines methodischen Versuchs1
; die Notwendigkeit des dabei begangenen interdisziplinären Weges erschien dadurch
begründet, daß in der von ihr repräsentierten Bildformel die im engeren Sinn
künstlerischen mit literarischen sowie theologischen Elementen zusammentreten und wechselseitig
sich erhellen; und so war denn der Blick auf süddeutsche Mystik und Passionsspiel
besonders aufschlußreich. Es zeigte sich jener im 14. Jahrhundert neu entstehende
Frömmigkeitstypus, der aus den großen, ob malerischen oder theatralischen Vergegenwärtigungen
der Heilsgeschichte und Passion genau die Szenen wählte, die das Gefühl
des einzelnen Gläubigen am stärksten berührten: Christus-Johannes-Gruppe, Schmerzensmann
, Pietä. (Auch auf dem Gebiet des religiösen Dramas entwickelte sich ja die Marienklage
zu einem selbständigen Karfreitagsspiel.)

In der unmittelbaren Beziehung des Individuums zu Gott, wie sie sich nicht zuletzt bei
der privaten Kontemplation derartiger Bilder erleben ließ, wurde die Offenbarung nicht
als abgeschlossen erfahren, sondern als im Einzelnen stets fortwirkend, ohne Einschaltung
der kirchlichen Instanz und gegen sie. So war es von hier nicht mehr weit zu den zahlreichen
häretischen, ketzerischen Bewegungen gerade Süddeutschlands und weiter zu dem
in diesem Raum besonders kräftig wirkenden (wenn auch leider wie überall erfolglosen)
Bauernkrieg mit seinen chiliastischen Predigern. Ihm hat Friedrich Engels eine der bedeutendsten
historischen Darstellungen gewidmet, worin es heißt: „Die revolutionäre
Opposition gegen die Feudalität geht durch das ganze Mittelalter. Sie tritt auf, je nach
den Zeitverhältnissen, als Mystik, als offene Ketzerei, als bewaffneter Aufstand."2 Obgleich
stark vergröbert, zeigt dies doch, welchen Weg der eine Strom der mystischen
Frömmigkeit nahm. Die derart folgenreiche Umgehung der Kirche als Heil und Lehre
vermittelnde Institution lag bereits im nunmehrigen Gebrauch der Volkssprache begründet
: „Was deutsch gesagt ist, wird sozusagen freigegeben, priesterlicher Hut entrückt,
ist Allgemeingut, Element der Volksbildung"3. Damit wuchs noch die Sprengkraft, die
der neuen Religiosität, über alle Innerlichkeit hinaus, tendenziell eigen war seit dem
radikalen Durchbruch, den noch der Straßburger und Basler Dominikaner Johannes
Tauler (ein Exempel für viele) so beschrieben hatte: „In diseme versinket der geluterte
verklerte geist in daz götteliche vinsternisse, in ein stille swigen und in ein unbegriffen-
licheme und unsprechenlicheme vereinen"4. Nicht umsonst hat die kirchliche Autorität
eben jenen Strom immer wieder in die Dämme des Dogmas zu fassen versucht; was ihr

1 Vgl. den Aufsatz des Verfassers mit dem Titel „Marienklage" (in: Die Ortenau 52/1972, S. 46—49), als
dessen notwendige Ergänzung der hiermit vorgelegte sich versteht.

2 Der deutsche Bauernkrieg. In: MEW Bd. 7, Berlin 1969, S. 344.

3 Kurt Ruh, Bonaventura deutsch. Ein Beitrag zur deutschen Franziskaner-Mystik und -Scholastik
(= Bibliotheca Germanica 7). Bern 1956, S. 25.

4 Zit. nach: Johan Huizinga, Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und
15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden. 9. Aufl., Stuttgart 1965, S. 317.

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