Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
53. Jahresband.1973
Seite: 99
(PDF, 57 MB)
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  (z. B.: IV, 145, xii)



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nach einschneidender Disziplinierung davon blieb, mündete schließlich in die quietistisch
beschränkte, ja zuweilen banale Devotio moderna, in deren weiteren Umkreis das hier
vorzustellende Dokument wohl gehören mag.

Denn für diesen freilich vereinfachten Entwicklungszusammenhang, einen historischen
und zugleich regionalen (das heißt vornehmlich: oberrheinischen), zeugt nicht nur ein
Bild wie die Rastatter Pietä. In ihm haben ebenfalls die vielen klösterlichen Andachtsund
Betrachtungsbüchlein ihren Platz, Beispiele religiöser Gebrauchsliteratur, die allesamt
einen unübersehbaren Anteil an vielfach vermitteltem mystischem Gedankengut aufweisen
und damit seine weite Verbreitung belegen. Und hierher paßt ein Werk, das die Bibliothek
des Rastatter Ludwig-Wilhelm-Gymnasiums5 neben manch anderen seltenen Stücken
aufbewahrt: das handschriftliche und bisher nie edierte Gebetbuch der Paulinereremiten

- eines vor allem in den Diözesen Straßburg, Basel und Konstanz beheimateten Ordens -
aus dem Entringer Wald, datiert 1464.

Seinen Anfang macht „das büchlin von unsers herren marter als gezögt ward ainer
clöster frown an irem geben", also im zeitgemäßen Gewand einer Nonnenoffenbarung

- zugleich ein Hinweis auf die Wirksamkeit der Frauenmystik, die hierzulande spätestens
mit Margarete Ebner, Elsbeth Stagel und den Auftraggeberinnen der Christus-Johannes-
Gruppen zutage getreten war. Darin wiederum findet sich eine ausführliche Schilderung
der Marienklage; dieses Traktat stimmt nun mit den bereits zum Thema angeführten
Texten so gut überein, daß es — wie gesagt: zum ersten Mal! — hier und jetzt an die
Öffentlichkeit gebracht sowie besprochen werden soll. (Von Schnitt und Rücken eingedrungenes
Wasser haben die Handschrift teilweise verdorben, diese ihre Wiedergabe ist
dadurch erschwert und in manchem unsicher. Die Interpunktion stammt, der leichteren
Lesbarkeit halber, vom Herausgeber; Kürzel sind aufgelöst. Ansonsten wurde in den Text
weder ändernd noch verdeutlichend eingegriffen, auch wenn er es gelegentlich zu fordern
schien.)

Nachdem das Büchlein von der Kreuzabnahme Jesu berichtet hat, fährt es fort wie
folgt:

„(S. 56 Z. 7) do er uff der erden also lag, Da kam die jämerliche muoter und wolt
sich han genaigt uff den toten ihesum. Und von der angesichte des kindes da kam ain
tot schoß durch alle die crefft ir sele geschwindenlich ylende zuo Irem herczen,
Das ir aller Ir crafft gebrast und ersturbent allu Iru gelider, das ir arme und ir hende
wurden also starck und erstarret als ain holcz von dem töde angsten, die ir ir hercz
da begriffen hetten. das klagen, das sy da begieng, und die gebärde, die sy da hett,
daz kan mitt Worten nieman volsagen. Das bedenck ain yeglich mensch mit getru-
wem herczen selbe. Sy viel nider uff ir totes kint. Do namen sy aber die (S. 57) frowen
und sant Johannes und huoben sy uff und leyten sy da hin. Und do sy wider zuo ir
selb kam, Do sach sy ir kind da vor ir ligen. Do wolt sy aber zuo ym sin, do hett sy
nicht der crafft. öch haben sy sant Johannes und die frowen, von den wolt sy sich
brechen und wolt wider zu Irem kinde sin. do sprach das milt getrüwe hercz sant Johannes
: 'O raini getruwi frowe und muoter, gedenck das ich dir zuo ainem kind geben
bin und ere mich und belibe siezende. Ich wil dir din kind in din schoß geben.' Also
namen in Josepf nicodemus und Johannes den verwunten verdurrenten toten ihesum
von der erden und leiten in der tot jamerigen muoter in ir schoß. Owe wie we Irem
herczen was! Und do sy das antlut ansach also angstlichen geschaffen, das sy da vor
mit grossen fröden dick hett angesenhen, Wann es was geschwollen totbluotig (. . .)"

Maria betrachtet den Leichnam, der ausführlicher beschrieben wird; er soll nun bestattet
werden:

5 Uber deren Geschichte (welche zugleich die des markgräflich badischen Unterrichtswesens widerspiegelt)
und Bestand (sie umfaßt ein unvergleichliches Corpus von 18 000 Bänden) berichten mehrere Beiträge
in den Festschriften der Schule, auf die hier nur zusammenfassend verwiesen werden kann: in „Humanitas
" (Rastatt 1958, S. 66—110) und „Fundatio Rastadiensis" (Rastatt 1967, S. 41—52).



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