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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
57. Jahresband.1977
Seite: 199
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ihrer Herrschaftsgebiete mittels Patronaten und Vogteien auf die Besetzung
kirchlicher Ämter, Visitation und Reform der Klöster, auf Pfründen und kirchliches
Zinswesen Einfluß auszuüben. Mit dem Anwachsen des Landeskirchen-
tums ist auch ein Hineinregieren der Stadt in kirchliche Angelegenheiten festzustellen
. Die neue Aufgabe der weltlichen Obrigkeiten, die notwendige Kirchenreform
in ihrem Territorium durchzuführen, ließ sich mit ihren Zielen
leicht vereinbaren: Abrundung des eigenen Herrschaftsgebietes, Mehrung fürstlichen
bzw. städtischen Besitzes, Aufbau eines autonomen Gerichtswesens u. a.14

Tatsächlich gab es vielerlei Anlaß zu berechtigten Klagen, wie sie auch 1456 in
den „Gravamina der deutschen Nation" zum Ausdruck kamen.15 Nicht nur die
unwürdigen Zustände an der römischen Kurie, sondern auch zu einem großen
Teil die Geistlichkeit im eigenen Land, der eigenen Stadt oder im Dorf erregten
Kritik. Am schwerwiegendsten war wohl, daß die Kirche in Deutschland
weithin zu einem „Spital des Adels", zu einer Versorgungsanstalt für adelige
Söhne und Töchter geworden war.

Auch an den Straßburger Bistumsgrenzen machte diese Zeiterscheinung keinen
Halt. Der Konvent des Gengenbacher Benediktinerklosters beschloß im Jahre
1398, nur noch Adelige in die eigenen Reihen aufzunehmen und nahm diese
Praxis in das Klosterstatut auf.16 Wie das Seelsorgewesen in ganz Deutschland
große „Ausfallserscheinungen" zeigte, so auch in Gengenbach.17 Im Jahre 1437
ließen sich die Mönche von der Tätigkeit als Seelsorger dispensieren. Es schien
ihnen zu genügen, einen Vikar an der Leutkirche St. Martin für die Gemeindeseelsorge
zu unterhalten. Auf diesem Hintergrund ist es nur verständlich, wenn
Bürger oder Obrigkeit eigene Initiativen ergriffen, um diesen Mißständen wenigstens
ihre Spitze zu nehmen. So stiftete im Jahre 1469 Berthold Huter von
Gengenbach eine Kaplaneipfründe an dem St. Erhardsaltar in der Nikolauskapelle
, die sich im Klosterbezirk befand, um den Pfarrer bzw. Vikar der Leutkirche
zu unterstützen.18 Aus der Urkunde geht hervor: „Schultheiß und rat
sollent ouch macht han, daß Testament allezit zu dem besten nach irem gefallen
ze verwaltigen." Dadurch bekam der Rat Einfluß auf das Seelsorgewesen
in der Stadt, was zugleich eine Ausdehnung seiner Machtbefugnis bedeutete.

Diese Kaplaneistiftung war kein Einzelfall, sondern entsprach der allgemeinen,
quantitativen „Steigerung der Devotion", wie sie überall und auf vielerlei Weise
Früchte trug.10 So lassen sich z. B. im ausgehenden Mittelalter an 34 Pfarrkirchen
der Ortenau 50 Nebenbenefizien feststellen.20

Die Verhältnisse im Kloster Gengenbach haben sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts
noch verschlechtert. Zum einen war im Konvent ein Parteienstreit ausgebrochen
, in dessen Verlauf Abt Konrad von Müllheim von Prior und Mönchen

14 W. Müller, Der Wandel des kirchlichen Lebens vom Mittelalter in die Neuzeit, in: Freiburger Diö-
zesanarchiv (FDA) 82/83 (1962/63) S. 233 f. In der Reformationszeit zeigte es sich dann, daß gerade
die „Stadtbehörden den größten Einfluß auf die religiösen Entscheidungen" erlangten, (ebd. S. 234).
Auch in Gengenbach wird dies zu beobachten sein.

15 Iserloh, a.a.O. S. 22.

16 Krebs, a.a.O. S. 162; noch im Jahre 1504 befiehlt Kaiser Maximilian dem Bischof Albrecht von
Straßburg, darauf zu sehen, daß Abt Konrad von Müllheim nur adelige Personen in das Gengenbacher
Kloster aufnehme. (GLA, Selekt Königs- und Kaiserurkunden, Nr. 1095 b, 1504 November 8.)

17 Iserloh, a.a.O. S. 21; für Gengenbach: GLA 30, Spezialia 1437.

18 GLA 30/58 1469 Februar 21 und März 21.

Wenn Baumgarten, Schauinsland 20, S. 33, Anm. 63 und Gothein, a.a.O. S. 258 daraus jedoch die
Errichtung einer städtischen Konkurrenzpfarrei für die Pfarrei St. Martin schließen, unterliegen sie
m. E. einer Fehlinterpretation. Denn die Nikolauskapelle befand sich im Kloster und war diesem wie
St. Martin direkt unterstellt. Von einer Pfarrei kann nicht die Rede sein.

19 E. Hassinger, Das Werden des neuzeitlichen Europa, Braunschweig 1964, S. 16.

20 D. Kauß, Mittelalterliche Kaplaneistiftungen an den Pfarrkirchen der Ortenau, in: Die Ortenau, 52
(1972) S. 106—121.

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