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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
57. Jahresband.1977
Seite: 271
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Gesprächen der Barockgesellschaft selbst: am interessantesten waren ihr die
menschlichen Leidenschaften, und nur eines konnte damit konkurrieren: das
Interesse an Mathematik." 8

Wie Mannheim vom Schachspiel war Freudenstadt vom Mühlespiel inspiriert
und war, nun als württembergisches Projekt, das erste in der langen Reihe
derartiger Gründungen auf deutschem Boden. Und schon seine wirkliche Architektur
steht in engem Zusammenhang mit der utopischen Literatur des Zeitalters
9 (auch Rastatt erinnert wohl nicht ohne Grund an den „Sonnenstaat", die
Sonnenstadt des Tommaso Campanella); diese Stadt und erst recht die Städte
der barocken Folgezeit bezeichnen den fruchtbaren „historischen Moment, in
dem Stadtutopie und Stadtwirklichkeit, Geist des Planens und Macht des
Bauens so eng sich verbanden wie selten davor und selten danach. Die Hoffnung
darauf, daß dieses Bündnis gelinge und gedeihe, ist freilich — wie die
Städte zeigen — selber utopisch geblieben".10

Weil zum richtigen Leben das richtige Wohnen gehört, hat die utopische Literatur
mit dem Entwurf eines idealen Staats fast immer auch den einer idealen
Stadt, einer idealen Architektur verbunden; und wie die gedachte war auch
die gebaute Stadt immer eine Übersetzung von politischen in ästhetische Formen
. „Der organisierte Raum in allen seinen Beziehungen, als gewollte Form,
als empfundener Farbenträger und Lichtträger, als erkanntes Liniensubstrat,
mit einem Wort als Architektur: er ist der künstlerische Ausdruck für historische
Arten des Zusammenseins der Menschheit und historisch wandelbar wie diese
Arten selber. Der organisierte Raum ist jeweils das ursprüngliche monumentale
Symbol für die sozietären Kulturen (...): jeder Raumtypus verkündigt
spezifische Formen sozietären Daseins. Der organisierte Raum ist ein Transparent
, hinter dem die sozialen Fragen der Zeiten flammen." 11
Dergestalt ist der barocke Stadtplan von Rastatt eine tiefsinnige Ausdrucksfigur
der absolutistischen Staatsidee, der er seine Existenz verdankt. Das Interesse,
das hier auf ihn gelenkt werden sollte und soll, ist aber kein bloß antiquarisches
, sondern ein höchst aktuelles an seiner Erhaltung trotz Gefährdung; und
erhaltenswert ist er eben nicht bloß als Antiquität von irgendwann oder Dokument
für irgend etwas, sondern als Artefakt: nämlich seines unnachahmlichen,
von allem späteren Städtebau unerreichten Kunstcharakters wegen. Gegen den
Absolutismus läßt sich vieles sagen 12 — aber immerhin hatte er Stil, und immerhin
war, was er schuf, schön; schön ist es, und so soll es bleiben.

8 Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung Bd. 2. Frankfurt/M. 1969, S. 865; vgl. insgesamt S. 863—872
(„Stadtpläne, Idealstädte..."). — Vgl. auch: Leonardo Olschki, Der geometrische Geist in Literatur
und Kunst. In: DVjs 8 (1930), S. 516—538.

9 Vgl. Johannes Werner, Von Freudenstadt über Christianopolis nach Kopenhagen. Stadtplanung im
17. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 4/1976, S. 312—313.

10 Ebda. S. 313.

11 Wilhelm Hausenstein, Gedanken zu einer „Soziologie des Stils". In: W. H., Die Kunst in diesem
Augenblick. Aufsätze und Tagebuchblätter aus 50 Jahren. Hrsg. von Hans Melchers. München 1960,
S. 246—256; hier S. 250. — Vgl. auch Wolfgang Braunfels, Abendländische Stadtbaukunst. Herrschaftsform
und Baugestalt. Köln 1976; dieses erst jüngst erschienene, überaus kenntnisreiche und
reichhaltige Buch (das gleichwohl über Rastatt kein Wort verliert) verweist ja schon in seinem Untertitel
auf die vom Gegenstand selber geforderte Synthese aus sozial- und kunstgeschichtlicher Betrachtung
.

12 Über seine Doppelgesichtigkeit hat das in jenem früheren Aufsatz angeführte Zitat aus den Tagebüchern
des Grafen Kessler schon genug gesagt: über seine Schädlichkeit in der Politik (vgl. auch:
Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis der europäischen Seele von der Schwarzen Pest
bis zum Ersten Weltkrieg. München 1969, S. 590 f.) und seine Nützlichkeit in der Kultur (vgl. auch:
Friedrich Wilhelm Gubitz, Goethe in Briefen und Gesprächen. Neu hrsg. und eingeleitet von Ernst
Beutler. Stuttgart 1949, S. 43—45).

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