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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
57. Jahresband.1977
Seite: 297
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den Schauplatz der Ereignisse nach seiner Rede schnell zu verlassen. Er
übernachtete im Hotel „Sonne", während die Offenburger Gastwirte von
der Verlängerung der Polizeistunde profitierten. Der Abmarsch der Massen
ging ohne größere Zwischenfälle vonstatten, nur einige Akteure wurden
von dem Drang übermannt, durch die nächtliche Stadt zu ziehen und
das Lied vom „Frankreich-Schlägen" anzustimmen. Offenburgs Polizeiinspektor
Bisel und die ihm unterstellten Verbände der Bereitschaftspolizei
konnten nach einem dreizehnstündigen Einsatz aufatmen.

Die in vollem Wortlaut erhaltene Ansprache Hitlers in Offenburg 4 verdient
aus mehreren Gründen Aufmerksamkeit. Forschungen über Wirkung
und Rezeption von Schriften und Reden nationalsozialistischer Politiker
auf den Zeitgenossen stecken noch in den Anfängen.5 Wir wissen
zwar einerseits, daß 287 000 Exemplare von „Mein Kampf" bis 1933 relativ
„freiwillig" erworben wurden,6 andererseits ist jedoch bekannt, daß
sie weitgehend das Schicksal der später ausgelieferten, Millionenauflagen
erreichenden Ausgaben teilten: Hitlers Programmschrift blieb un-
gelesen. Es waren nur Einzelgänger, keineswegs bestimmten gesellschaftlichen
Gruppen zuzuordnen, die sich der mühevollen Lektüre unterzogen.
Repräsentative Umfragen würden daher mit großer Wahrscheinlichkeit zu
dem Ergebnis führen, daß die Absichten Hitlers vor 1933 entweder nicht
bekannt oder verschwommen waren. Die NS-Führung vermied nach der
Reichstagswahl vom 14. September 1930, die die Partei von 12 auf 107
Sitze katapultierte, bis zur „Machtergreifung" öffentlich über ihre wirk-

zur Sozialdemokratie gab er in Offenburg den „Volksfreund" heraus, was ihn infolge der Sozialistengesetze
18 Monate Gefängnis und eine hohe Geldstrafe kostete. 1899 wurde er Herausgeber des
„Alt Offeburger". Mit Unterbrechungen war Geck von 1897—1918 Mitglied des Landtags und von
1898—1912 Mitglied des Reichstags für den Wahlkreis 10 (Karlsruhe). 1917 schloß er sich der USPD
an, für die er nochmals von 1920—1924 ein Reichstagsmandat innehatte.

Eine erhebliche Enttäuschung über Hitlers Rede bei einem großen Teil der Zuhörer war auch darauf
zurückzuführen, daß Hitler nur in der vorderen der beiden Hallen auftrat. Entgegen den Ankündigungen
erschien er nicht einmal zu einem kurzen Grußwort in der hinteren Halle nach Beendigung
seiner Rede. Die dortigen Zuhörer waren durch die mangelhafte Lautsprecherübertragung nicht zufriedengestellt
und verlangten stürmisch nach Hitler. Auf die Sprechchöre „Wir wollen Hitler sehen!
Wo bleiben Eure Versprechungen?" reagierte die badische Prominenz der NSDAP mit fluchtartigem
Verlassen der Ehrentribühne. Daraufhin wurde die Halle gegen 23.45, also 45 Minuten nach Ende
von Hitlers Ansprache von den Besuchern geräumt.

Mit dem für die Nationalsozialisten sehr unbefriedigenden Verlauf hängt vermutlich auch zusammen
, daß der Völkische Beobachter (VB) sich sehr viel Zeit mit der Berichterstattung ließ. Erst in
der Nr. 275 vom 19. November 1930 kam nach zwei vorangegangenen Telegrammberichten ein Artikel
, der von der „Kehler Zeitung" wörtlich übernommen worden war.

4 Die Rede befindet sich in den Beständen des Hauptarchivs der NSDAP — Bundesarchiv (BA) Koblenz
NS 26/57, Bl. 44—54. — Die Überlieferung ist maschinenschriftlich, sehr unfachmännisch durchgeführt
mit handschriftlichen Ergänzungen. Das vermutlich auf stenographischer Mitschrift beruhende
Manuskript wurde durch den „Druck und Verlag der NSDAP, Ortsgruppe Lahr/Schw." angefertigt.

5 Grundlegend: K. Lange: Hitlers unbeachtete Maximen. „Mein Kampf" und die Öffentlichkeit. Stuttgart
1968; A. Grosser: Hitler, la presse et la naissance d'une dictature. Paris 1959; unbefriedigend
dagegen: P. W. Fabry: Mutmaßungen über Hitler. Urteile von Zeitgenossen. Düsseldorf 1969.

6 Lange, S. 31.

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