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Verhältnis von der Familie Geck in ihrer „bittersten Seelenstunde" empfunden
, als Rosa am 10. November „noch kurz vor ihrem Märtyrertod" ihre
Mittrauer und Mitgefühl zum Ausdruck brachte:118
„Meine teuren, geliebten, herzinnigen Freunde!
Eben erhalte ich über Breslau das furchtbare schwarze Couvert. Mir zitterte schon die Hand und
das Herz, als ich die Schrift und den Stempel sah, doch hoffte ich noch, das Schrecklichste würde
nicht Wahrheit sein. Ich kann es nicht fassen und Tränen hindern mich am Schreiben. Was Ihr
durchmacht, ich weiß es, ich fühle es, wir wissen den furchtbaren Schlag alle zu ermessen. Ich habe
so unendlich viel von ihm für die Partei, für die Menschheit erwartet. Mit den Zähnen möchte
man knirschen. Ich möchte Euch helfen und doch gibt es keine Hilfe, keinen Trost. Ihr Lieben
laßt euch nicht durch Schmerz überwältigen, laßt die Sonne, die in Eurem Hause immer strahlt,
nicht hinter diesem Entsetzlichen verschwinden. Wir alle stehen unter dem blinden Schicksal,
mich tröstet nur der grimmige Gedanke, daß ich doch auch vielleicht bald ins Jenseits befördert
werde — vielleicht durch eine Kugel der Gegenrevolution, die von allen Seiten lauert. Aber solange
ich lebe, bleibe ich Euch in wärmster, treuester, innigster Liebe verbunden und will mit Euch
jedes Leid, jeden Schmerz teilen.
Tausend Grüße
Eure Rosa L.
Mein herzlichstes Beileid und viele beste Grüße Ihr K. Liebknecht."
Knapp zwei Monate später, am 15. Januar 1919, wurden Rosa Luxemburg
und Karl Liebknecht ermordert.
In Brandeis Hinterlassenschaft fand sich ein wehmütiges Liebesgedicht, das
uns auch einen Eindruck von seinem dichterischen, vom Vater vererbten Talent
vermittelt:
Testament
Nicht Tränen weinen, Geliebte, keine Tränen!
Sie fallen so heiß und schwer auf mein Grab.
Sie wecken aufs Neue mein Sehnen
Und drücken mich tiefer hinab.
Ein Lächeln, andächtig und leise,
Als Sonne und Scheidegruß gieb'.
Dann lockt mich die süße Weise:
„So lieb hab' ich Dich, so lieb!"
Dann schwebt wie ein Hauch meine Seele
Um Dich und streichelt Dich lind.
Und ich küsse Dir heiß Deine Augen,
Die so dunkel und traurig sind.
15. 1. 16 abends Brandel
Sturmzeichen der Revolution im Oktober in Offenburg
An dem für Brandel so verhängnisvollen 23. 10. 1918 war der aufgrund einer
Amnestie aus dem Zuchthaus entlassene Karl Liebknecht in Berlin eingetroffen
und von einer riesigen Menschenmenge begeistert empfangen worden. Seine
Rede vor dem Reichstag schloß er mit den Worten: „Die Stunde des Volkes
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