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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
62. Jahresband.1982
Seite: 385
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1982/0387
Dieses engagierte Eintreten für ein elsässisches
Volkstum lehnt Robert Faerber, der dritte „gelehrte
" Mundartdichter aus Straßburg — er ist
Professor für englische Sprache und Literatur
— bewußt ab. Erfüllt von dem klassischen Optimismus
, daß jeder echte Vers an sich politisch
wirke, kann er formulieren: „Ich weiss
dass mini Geischter die in mir sich reeje / ken
Frontsoldate kenne spiele / si kenne villicht
grad nur's Herz beweeje / un do un dert e
G'miet beriehre". Die Naturlyrik, die das
Bändchen „O Wind, dü wilder ..." darbietet,
spricht leise, aber eindringlich das Gemüt an,
denn Blumen, Blätter, eine verfallende Mühle
stehen als Bilder für das menschliche Leben.
Auf den ersten Blick scheint in den Gedichten
Faerbers die herbstliche Stimmung vorzuherr-
schen, aber die Melancholie bleibt nicht das
Ziel der Verse, sie laufen immer auf ein Du zu,
auf den geliebten Menschen und auf Gott, in
denen alle Bitterkeit des Vergehens und Abschiednehmens
überwunden werden kann.

Anne Franck-Neumann gehört zu jener elsässi-
schen Dichtergeneration, welche die deutsche
Hochsprache noch problemlos neben dem Dialekt
als künstlerisches Medium verwenden
konnte, weil diese Sprache ihrer Jugend noch
unbelastet war von den Hypotheken des 2.
Weltkrieges und von einem großen Leserkreis
noch verstanden wurde. Ihre „Lieder von Liebe
und Tod und vom einfachen guten Leben"
bieten die reizvolle Möglichkeit, Mundart und
Standardsprache in ihrer dichterischen Wirkung
zu vergleichen, da Frau Franck-Neumann
mehrfach dasselbe Ereignis in beiden
Formen künstlerisch verarbeitete. Der Titel des
Bändchens, der an Volksliedsammlungen erinnert
, verspricht Stimmungslyrik, und ein
großer Teil der Gedichte, die aus dem Erlebnis
eines schweren Schicksalsschlages entstanden
sind, gestaltet auch tiefempfundene Gefühle.
Aber daneben stehen Verse, die aus der technischen
Außenwelt unserer Zeit erwachsen sind,
in denen Schallplatten und Telefon als dichterische
Bilder, die Großstadt und die ökologische
Frage als Gegenstände des künstlerischen
Schaffens verwendet werden.

Albert Gantzers „Spättie in alle Farwe" vereinen
bisher in Zeitungen veröffentlichte Gedichte
und Geschichten in alemannischer
Mundart aus dem Elsaß. Liebevolle Kleinmalereien
aus dem alten Straßburg, Idylle von
Landschaft und Menschen wechseln mit ironischen
Demaskierungen politischer Verhaltensweisen
ab. In diesem Buch hat der Humor seinen
Platz eingeräumt erhalten, der sich, ohne
je auf die Stufe eines leichten Wortwitzes abzusinken
, in bestechend gebauten Versen formuliert
.

In deutscher Hochsprache schrieb der elsässi-
sche Landpfarrer Georges Kempf seine Erzählung
„Die Fünfpfündige". Aus dem Rahmen
einer Gespenstergeschichte, die sich in einem
Schelmenstück auflöst, entwickelt der Verfasser
das Schicksal einer kantigen, archaischen
Bauerngestalt, die aus dem naiven christlichen
Glauben seiner Kindheit immer wieder den
richtigen Weg findet. Obwohl die erzählte Zeit
dem Verlauf unseres Jahrhunderts entspricht,
ist es nicht die Technik, die den Menschen beschwert
, sondern das Zusammenleben mit seinem
Nächsten. Die hintergründige Erzählung,
deren Teile durch die Geschichte einer fünf-
pfündigen Kuhglocke zusammengehalten werden
, ist trotz aller Denkanstöße spannend bis
zum Ende.

Die badische Seite vertritt der Altmeister der
alemannischen Dichtkunst Karl Kurrus. Seine
Sammlung „Vu Gott un dr Welt" enthält Gedichte
, die während der letzten 20 Jahre entstanden
sind und bereits mit Ehrenpreisen und
der Hebelplakette ausgezeichnet wurden, aber
auch bisher unveröffentlichte Verse. Kurrus,
der die Mundart schon als künstlerisches Ausdrucksmittel
gebrauchte, als man über den
Dialekt noch die Nase rümpfte, beschreibt in
seiner Sprache den Raum, in dem sie entstanden
ist: Die Landschaft des Kaiserstuhls mit ihren
Menschen. Dabei gilt dem ländlichen
Grundcharakter dieses Gebietes verständlicherweise
die Liebe des Dichters, den Blumen,
den Reben, den Winzerdörfern und kleinen
Städtchen, aber es ist keine heile Welt, die hier
geschildert wird, eher eine natürliche, in der
Leid und Mangel ihren Platz haben. Kurrus
beklagt die Kriegswunden der Stadt Breisach
und trauert um die verlorene Einheit des alemannischen
Kulturraumes; er bedenkt die
Nachteile des technischen Fortschritts und karikiert
Erscheinungsformen unserer Zeit; aber
er erklärt auch: „nit alles ghert im Teifel!"
Kurrus möchte mit seiner Kunst das Gemüt ansprechen
. Bewußt bekennt er sich zu „Traum
und Herz", Werte, die, wie er meint, in der
modernen Mundartdichtung verloren zu gehen
drohen.

In seinen „Murstetter Geschichten" erzählt
Kurt Scheid — in der Hochsprache — merkwürdige
Lebensläufe aus einem Schwarzwälder
Seldwyla. Dort wohnt eine „fröhlich boshafte,
witzig maulende Rasse", die aber gutmütig
und tolerant genug ist, in ihren Reihen höchst
seltsame Menschen auf eine ungewöhnliche
Art leben zu lassen. Ein Hauch von Biedermeier
liegt über den Ereignissen, von denen berichtet
wird, obwohl das harte 20. Jahrhundert
den zeitlichen Hintergrund bildet. Die verfallende
Stadtmauer ist noch überall gegenwärtig,

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