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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
70. Jahresband.1990
Seite: 400
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Tugenden im rechten Maß. Allerdings ist Marie im „Mädchen von Oberkirch
" ein bürgerliches Mädchen, während Eugenie eine Aristokratin ist,
die Tochter eines Herzogs und einer Dame aus der hohen französischen
Aristokratie, die nach dem Tod der Mutter vom Vater und dem König ihren
legitimen Status erhalten soll. Die Ungeduld Eugenies, ihren fürstlichen
Rang offen zu dokumentieren, stürzt sie ins Unglück, und nur durch ihre
Entsagung am Ende bleibt ihr die Hoffnung zu überleben. Goethes Drama
„Die natürliche Tochter" ist losgelöst von Raum und Zeit. In der Gestalt
Eugenies bringt Goethe zum Ausdruck, daß er einen Ausgleich der gesellschaftlichen
Spannungen nur durch wechselseitiges Entgegenkommen von
Bürgertum und Adel für möglich hält, ohne daß Standesgrenzen abgeschafft
werden.

Goethe vertiefte in der Gestalt Eugenies Eigenschaften, die sich bereits bei
Marie finden lassen. Dazu war aber ein im Vergleich zu seinen früheren Revolutionsstücken
höherer dichterischer Abstraktionsgrad, wie z.B. die Herauslösung
des Geschehens aus Raum und Zeit, erforderlich, weil Goethe nur
so seiner Haltung zu den Ereignissen in Frankreich in objektiver Form Ausdruck
verleihen konnte. Goethe arbeitete an seinem „Mädchen von Oberkirch
" zu einer Zeit, als in Frankreich die Revolutionswirren anhielten.
Damit war ihm aber eine objektive Beurteilung der Französischen Revolution
erschwert. Erst aus einer gewissen zeitlichen Distanz heraus war Goethe fähig
, die Geschehnisse in Frankreich, „dieses schrecklichste aller Ereignisse
in seinen Ursachen und Folgen dichterisch zu bewältigen." Wir gehen wohl
nicht zu weit, wenn wir das Fragment „Das Mädchen von Oberkirch" als
mithin wichtigsten frühen dramatischen Versuch Goethes, dieses Anliegen
„mit geziemendem Ernste" in die Tat umzusetzen, ansehen.

Anmerkungen

1 Vgl. zur Frage des Entstehungsdatums Goethes Sämtliche Werke, Dramatische Fragmente
und Übersetzungen. Jubiläumsausgabe Band 15. Stuttgart und Berlin: J. G. Cotta'sche
Buchhandlung Nachfolge, 362—63. Gustav Roethe, Goethe. Gesammelte Vorträge und
Aufsätze. Berlin: Ebering, 1932, 142—43. Roethe legt die Entstehungszeit in die Jahre
1794-1806. Davor wollte Berthold Päschke „Das Mädchen von Oberkirch" vor den Beginn
des Briefwechsels mit Schiller (1794) ansetzen; vgl. „Goethes Trauerspielfragment
'Das Mädchen von Oberkirch' im Rahmen der politischen Anschauungen des Dichters",
in: Pädagogische Warte XX, Heft 19, 1913; 1043-1052; 1052.

2 Vgl. Leo Kreutzer, Die kleineren Dramen zum Thema Französische Revolution, „Der
Groß-Cophta", „Der Bürgergeneral", „Die Aufgeregten", „Das Mädchen von Oberkirch
", in: Goethes Dramen. Neue Interpretationen, hrsg. von Walter Hinderer. Stuttgart
: Reclam, 1980; 197-209: 204.

3 Vgl. Walter Müller-Seidel, „Deutsche Klassik und Französische Revolution", in: Deutsche
Literatur und Französische Revolution, hrsg. von Richard Brinkmann u.a. Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht, 1974 , 39 —62. Laut Müller-Seidel läßt sich das
Verhältnis der Schriftsteller der deutschen Klassik seit 1793 verallgemeinern. Seit der
Hinrichtung des französischen Königs sei man enttäuscht, ernüchtert und desillusioniert
gewesen (43).

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