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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
70. Jahresband.1990
Seite: 446
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mehr lange gelebt hätte. Sie entrissen ihn ihren Händen und brachten ihn
sorgsam in Verwahrung. Nach zwei Tagen kam der Judengewaltige von
Frankreich selbst in Nürnberg an. Die roten Juden und Judengenossen veranstalteten
ihm zu Ehren einen triumphalen Umzug. Nationalsozialistische
Hoheitszeichen, Fahnen und angesehene Gefangene (bekannte Judenfresser)
wurden dabei als Siegestrophäen mitgeschleppt. Die Hauptattraktion war
Julius Streicher in einem Käfig mit Eisenstäben, das vor kurzem noch ein
wildes Tier beherbergt haben mochte." Blum stellt dann die Frage, ob man
Streicher nach seinem eigenen Dogma (,,Der Jude ist schlimmer als der
Teufel") behandeln solle oder Lügen strafen solle. Streicher wird als „zitternde
und lebende Jammergestalt, halb irrsinnig vor Schrecken", beschrieben
. Kasper läßt offen, was schließlich mit Streicher passiert.20

Wilhelm Kasper macht nicht nur die antisemitischen Parolen lächerlich und
betreibt satirische Autoritätsvernichtung, sondern möchte auch warnen. Die
satirischen Passagen kippen manchmal um ins geradezu Visionäre — wer
fühlt sich heute nicht an den Nürnberger Prozeß 1945/46 erinnert?

Warum hat Kasper noch einmal geschrieben? Er verfolgte im „Stürmer",
wie den Juden ihre menschliche Identität abgesprochen wurde, wie sie als
Ungeziefer apostrophiert wurden und damit ihre Vernichtung propagandistisch
vorbereitet wurde. Besonders schmerzhaft muß es Kasper berührt haben
, daß die Nazipropaganda auch in Nußbach ihre Wirkungen gezeigt
hatte. Drei Wochen zuvor hatten Nußbacher Nationalsozialisten bei der
Dorffastnacht den „Auszug der Juden" gespielt und auf bedrückende Weise
die jüdischen Mitbürger verspottet: „Dann kamen originelle Radfahrer und
die Juden, die mit Sack und Pack auf der Ausreise nach Jerusalem waren.
Viel Humor hat diese Gruppe ausgelöst. Kuh und Ziege führten die Nußbacher
Nationalsozialisten mit. Ungeheuere Nasen und Plattfüße konnte man
sehen. Auf dem Rathausplatz endete der Zug. Dort fand ein Narrenspiel
statt: Die Juden versteigerten ihre Ziege, ihre Kuh und sonstige Habseligkeiten
. Der Volkshumor kam hier so recht zur Geltung."21 Kasper bekennt
sich bei seiner Vernehmung dazu, die menschliche Identität der Juden zu
verteidigen (siehe die eingangs zitierten Äußerungen). Er handelt aber auch
als Patriot und Staatsbürger: „Soweit es in meiner Macht steht und gesetzlich
erlaubt ist, möchte ich mein Gewissen vor der Gegenwart und der
Nachwelt auf diese Art entlasten ... Es soll ein Appell an das innerste Gewissen
sein. Ich bin der Ansicht, wo kein Gewissen mehr ist, alles keinen
Wert hat ... Ich vergleiche mich mit jenem Hund, von dem im Schullesebuch
ein schönes Geschichtchen steht. Ein Herr ritt in Begleitung seines
Hundes über Land. Da fiel ihm der Geldbeutel aus der Tasche. Ohne es zu
bemerken, ritt er weiter. Sein treuer Hund bemerkte es sofort und machte
durch Bellen seinen Herrn aufmerksam. Der Herr begriff das aber nicht
und ritt sorglos weiter. Da bellte der Hund immer ärger und stellte sich zu-

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