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Eine zweite Denkrichtung, die in der NSDAP Einfluß gewann, war die
„Rassenanthropologie", die eine Arisierung forderte. Der französische
Graf Joseph Arthur Gobineau stellte 1855 den Arier einer degenerierten semitischen
Rasse gegenüber. Den wertvollsten Kern der Arier sah er in den
Germanen. Nach Gobineau hat die ständige Rassenmischung der Arier dazu
geführt, daß sie vom Aussterben bedroht seien. Über den Kreis um
Richard Wagner und Houston Stewart Chamberlain erfuhr dieses Gedankengut
im Bürgertum des ausgehenden 19. Jahrhunderts eine starke Aufnahme
. Auch hier nahm der Alldeutsche-Verband eine zentrale Rolle ein.16
Dieses Gedankengut der Sozialdarwinisten, Rassenhygieniker und Rassenanthropologen
, das in weiten Kreisen des Bildungsbürgertums und der
Ärzte Fuß gefaßt hatte,17 griffen Hitler und die nationalsozialistische Bewegung
auf und machten es zum zentralen Punkt ihres Parteiprogramms.18
Die Ermordung kranker, behinderter, schwacher und alter Menschen steht
nicht isoliert, sondern ist im Zusammenhang mit dem Rassegedanken zu
sehen, in dessen Folge auch Juden, Zigeuner, Polen, Slawen, Homosexuelle
und andere mehr vernichtet wurden. Ziel des Nationalsozialismus war die
Vorherrschaft des rasserein gewordenen und rasserein gehaltenen arischen
Menschentyps unter deutscher Führung.19
Wie sollte das Bürgertum Widerstand leisten, nachdem seine eigenen Gedanken
nun weitestgehend in praktische Politik umgemünzt wurden? Erst
als es seine eigenen Ziele weit radikaler verfolgt sah und die Ermordung als
eine Folge dieser Entwicklung sichtbar wurde, regten sich Unmut, Protest
und Widerstand gegen das menschenverachtende System, das der Masse
die Rasse und das Beste gegenüberstellte.
Die Rassenhygiene setzt sich durch
Die Forderung nach Sterilisierung seit 1900
Schon seit dem Beginn des Jahrhunderts forderten Rassenhygieniker eine
gesetzlich abgesicherte Sterilisation. So verlangte Ernst Rüdin, später Leiter
der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie, 1903 die Sterilisierung
von unheilbaren Trinkern.20 Über die bereits erwähnte „Gesellschaft für
Rassenhygiene", der von Anfang an Fritz Lenz und Ernst Rüdin angehörten,
wurden rassehygienische Forderungen in die Öffentlichkeit getragen. Einen
ersten sichtbaren Erfolg zeigte die Kampagne darin, daß der damalige
Reichskanzler Bethmann-Hollweg dem Reichstag am 4. Juli 1914 einen
Gesetzentwurf zur „Unfruchtbarmachung und Schwangerschaftsunterbrechung
" vorlegte.
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