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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
71. Jahresband.1991
Seite: 115
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Die Beginen verfügten über eigenen Besitz (oder zumindest materielle Unabhängigkeit
durch den Gemeinschaftsbesitz der Samnung), oft über eigene
Wohnungen in der Stadt, mitunter — wie Gertrud und Heilke — sogar über
Bedienstete. Sie hatten trotz der Aufsicht der Bettelorden ein weitgehendes
Maß an Selbstbestimmung, zu der noch das oft sehr hohe Ansehen der
Frauen im öffentlichen Leben kam.

Ein emanzipatorischer Aspekt in der Motivation Gertruds (vielleicht auch
der Bewegung) wird mehrmals auch aus GvO deutlich.

Die Hinweise auf die vier Kinder in vier Ehejahren, die Qual der weite (hier
vor allem der Ehe), die Anziehungskraft der Stadt, das durch ihr Vermögen
unabhängige Leben, sogar mit Bediensteten; schließlich das Gemeinschaftsleben
auch als eine Form der Selbstverwirklichung.

Einige Züge des Lebens selbst, wie die Abkehr von Ehe und Kindern, die
bewußte Wertschätzung der wirtschaftlichen Verhältnisse — erst die Erbschaft
, dann das Gemeinschaftsleben —, der Eintritt in eine Beginenge-
meinschaft, obwohl für beide der Eintritt auch in ein Kloster möglich gewesen
wäre, der helfende, nicht strafende Umgang der beiden miteinander und
ein Streben nach Selbstverwirklichung weisen gleichfalls in diese Richtung.

Besonders auffällig ist auch die Abwesenheit jeglicher Dogmatik und das
in der Vita gezeichnete Gottesbild, das das eines helfenden, nicht eines strafenden
Gottes ist.

Gertruds Motive können aber nicht fraglos mit denen der heutigen Frauenbewegung
gleichgesetzt werden. Das zeigt z. B. sehr drastisch die Episode,
in der sie drei Kinder einfach zu den Verwandten schickt, weil diese auch
ihr Erbe innehaben. Als die Kinder — wahrscheinlich sehr schlecht behandelt
(s. Gertruds eigene Kindheitsgeschichte) — kurz darauf sterben (f.
139v / 3—6), ist sie sehr erleichtert; auch den Tod der beiden anderen bedauert
sie nicht. Diese Bilder können als Indizien dienen, bei deren Ausdeutung
aber Vorsicht am Platz ist. Es handelt sich dabei oft um Topoi, die
etwa einfach den Wunsch nach einem heiligenmäßigen Leben ausdrücken
sollen und in diesem Sinn nur die Heftigkeit der Ablehnung des weltlichen
Lebens unterstreichen.

Eine Reihe von Beobachtungen, die Karen Glente192 an von Frauen verfaßten
Viten gemacht hat (im Vergleich zu von Männern verfaßten Texten),
treffen auch auf GvO zu: eine sehr realitätsgebundene, farbige und detailfreudige
Sichtweise; oder die geringe Neigung zur Erklärung oder Verdeutlichung
des Gnadengeschehens durch Wunder. Es ist eine von Heilkes
Funktionen (als literarische Figur), schwer Verständliches oder Unerklärliches
dem Leser näherzubringen — meist durch Fragen an Gertrud selbst

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