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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
71. Jahresband.1991
Seite: 282
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„Mir sin franzeesch!"

Elsässer und Lothringer und ihr Frankreich

Michael Enz

In seinem Büchlein, dem er den bezeichnenden Titel „Der Sprachlose"1
gegeben hat, läßt Adrien Finck, den wir als Germanisten an der Straßburger
Universität und als subtilen Dichter in Sundgauer Mundart und auf Hochdeutsch
kennen, seinen Erzähler, einen älteren Lehrer, der zu deutscher und
in französischer Zeit in einem Dorf im Sundgau die Kinder unterrichtete,
über den Vater seines Schützlings berichten2:

„Unser Verhältnis zu Frankreich ist pathologisch. Francois3, Vater konnte nicht Französisch
, er legte aber die Hand aufs Herz und sprach gerührt (wo hatte er diese verstümmelten
Worte her?): ... .langue pas frangais... coeur est francais'4... Er war ein leidenschaftlicher
Patriot... Unser Verhältnis zu Frankreich ist pathologisch. Je mehr ich darüber
nachdenke, je weniger finde ich eine vernünftige Erklärung für diesen elsässischen .Badrio-
disme'. Etwas ist bei uns vertrackt. Der Großvater selig rief wie noch zu Bismarcks Zeit mit
zahnlosem Mund: ,Vive la France! Merde la Prusse!'5 Mehr brachte auch er in Französisch
nicht hervor... Er las (auf deutsch) immer wieder sein drei dicke Bände schweres Napoleonbuch
,Des Welteroberers Glück und Ende'... Das ganze Haus stand voll gipsernen
Napoleon-Büsten ... Doch wo lag Frankreich? Keine zehn Kilometer westlich begann schon
,das Welsche'. Man verachtete die mistigen Dörfer dort, das schlechtbestellte Feld; die .Welschen
' waren dreckig. Weiter ab, irgendwo begann ,1a France'. Es gab Zeiten, wo uns die
Augen übergingen, wenn wir das Wort aussprachen: ,1a France'. In der Schule habe ich es
die Kinder gelehrt: ,1a France'... unsere ,Mere Patrie'6... Sie sprach nicht die Sprache
der Mutter".

Beispiele dieser Art ließen sich noch viele beibringen. Für einen Deutschen
, auch für einen, der in der Nähe des Elsasses wohnt, der fast seine
Sprache spricht, ist das alles unverständlich, fast nicht nachvollziehbar. Daß
der gleiche Mann, der sich auf solch despektierliche Art zu den Preußen
(Deutschen, ,,Schwowe") äußert, dann sich auch von den ,.Welschen", wie
man die Franzosen vor noch nicht allzulanger Zeit im Elsaß durchweg nannte
, abgrenzt, findet der Deutsche inkonsequent und unlogisch. Das ist der
Elsässer, wie soll, wie kann man den verstehen in seiner Widersprüchlichkeit
! Mag auch die in den Sonntagsreden heute vielbeschworene „Einheit
der Oberrheinlande" durch Geographie und Volkstum vorgegeben sein, in
den politischen Verhältnissen und vielleicht noch mehr im Bewußtsein der
meisten Menschen im Elsaß und im deutschen Lothringen findet sie keine
Entsprechung, sie hat es auch vorher schon nicht mehr gehabt. Auf Ausnahmen
aber zu dieser Haltung wollen wir auch eingehen, gerade, um zu zeigen
, daß es hier auch anders hätte kommen können, wenngleich davon heute
nicht mehr als nur die Erinnerung vorhanden ist. Daran sehen wir, wie

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